Donnerstag, 8. Juli 2010
Die Pyrenäenüberquerung
Am folgenden Morgen wurde ich gegen 5:30 durch das Rascheln von Plastiktüten geweckt. Die ersten Pilger machten sich langsam startklar. Man man kann sich nicht vorstellen, was eine blöde Plastiktüte für einen Lärm verursachen kann. Eine Stunde später war an Schlaf nicht mehr zu denken.
Da ich mir unachtsamer Weise das Bett ausgesucht hatte, das am Nächsten an den sanitären Anlagen stand, musste natürlich jeder unmittelbar an mir vorbei.
Vorsichtig streckte ich alle Glieder von mir um zu testen, ob der gestrige Tag irgendwelche Schäden an meinen Gliedmaßen hinterlassen hatte.
Nichts! Kein Muskelkater, kein Ziehen in den Schulterblättern. Ich war fit wie ein Turnschuh. In bester Laune sprang ich aus dem Bett.
Gegen 7:30 saßen wir, Sandy, Hannelore, Christian und ich, als Letzte am Frühstückstisch. Die Herberge war schon so gut wie leer. Die letzten Pilger waren gerade im Aufbruch. Um 8:00 eilte ich kurz in den einzigen Krämerladen im Ort, kaufte mir eine neue Zahnbürste und ein paar Trekkingstöcke. Mein Blick klebte zwar für einen kurzen Augenblick auf einem Pilgerstab für 5.90 Euro, ermahnte mich jedoch zur Räson und griff mir zielsicher, wie sollte es auch anders sein, die teuersten Stöcke. Das Paar für 20,00 Euro. Allerdings mit eingebauten Stoßdämpfern.

Man gönnt sich ja sonst nichts!

Der Verkäufer erklärte mir in seinem spanischen Kauderwelsch die Handhabung und das Einstellen der Stocklänge. Ich hörte aufmerksam und interessiert zu, obwohl ich keine Silbe verstand. Als Pilger galt ja Höflichkeit als oberstes Gebot. An Hannelores Stöcken nahm ich kurz Maß und wir verließen gegen 8:30 die Herberge.

Gleich zu Anfang ging es kräftig bergauf. Sandy mit ihren 26 und Christian mit seinen 32 Jahren kamen natürlich schneller voran als Hannelore und ich und waren schon nach kurzer Zeit verschwunden.

Hannelore war letztes Jahr mit ihrer Freundin schon den Camino von Leon aus nach Santiago gelaufen. Jetzt hatten sie sich vorgenommen, die Pyrenäen von Saint Jean Pied aus zu überqueren und bis Bourgos zu laufen. Ihre Freundin hatte den Weg über den gesperrten Ciza-Pass genommen, um nach Roncesvalles zu gelangen, wo sich die beiden für den heutigen Tag verabredet hatten.

Der Weg führte uns mal ein Stück über die Landstraße, dann wieder über Waldwege vorbei an einsamen Berghöfen, durch Wälder, über Bäche, vorbei an Weiden, auf denen zum Teil Schafe grasten. Es ging mal rauf und wieder runter. Ich war fasziniert von der Schönheit der Landschaft. Es war ein Traum! Der allerdings ein schnelles Ende nahm, als der Weg immer steiler wurde.

Der Anstieg
Der Anstieg

Jetzt machte sich meine jahrelange Raucherei bemerkbar. Ich wurde zusehends langsamer, da mir die Puste ausging und ich immer öfters einen kurzen Stopp einlegen musste. Zu allem Übel stand ich auch noch mit meinen neu erworbenen Trekkingstöcken auf Kriegsfuß.
So zielsicher hatte ich in meiner Jugendzeit keinen Ball getroffen, wie ich mir die Stöcke wegschoss oder sie mir zwischen meine Beine in den Weg stellte. Hinzu kam, dass ich einen der Stöcke nicht richtig justiert hatte und er nach einiger Zeit immer kürzer wurde. Normalerweise wäre dieser Stock spätestens nach dem dritten Mal nachjustieren über den nächsten Zaun geflogen, aber man war ja Pilger und es gehörte sich nicht, sich zu solchen Wutausbrüchen hinreißen zu lassen.
Hannelores Kondition war wesentlich besser als meine und auch sie entfernte sich immer weiter von mir, bis sie schließlich aus meinem Blickfeld verschwand.
Meine Schritte wurden zusehends langsamer und kleiner. Ich spürte wie mein Herz in meiner Brust pochte. Meine Waden schmerzten und der scheiß Rucksack zog mal wieder an meinen Schulterblättern. Ich pfiff aus dem letzten Loch. Erneut musste ich einen Halt einlegen. Ich stützte mich auf die Trekkingstöcke, rang nach Luft und blickte zurück. Weit und breit war keine Menschenseele zu sehen. Ich war ganz alleine!
Für einen Augenblick dachte ich: „Wenn Du jetzt umfällst, war es das gewesen“. Jedoch Angst verspürte ich bei diesem Gedanken keine. Ich hatte das Gefühl, als wenn eine schützende Hand über mir schwebte.
Jetzt hieß es die Ruhe zu bewahren. Ich atmete kontrolliert langsam und tief ein und aus und merkte wie das Pochen in meiner Brust allmählich nachließ. Nach einer guten Minute hatte sich mein Herzschlag wieder regeneriert. Von nun an nahm ich mir vor, einhundert Schritte zu gehen, einen kurzen Stopp einzulegen, um ein erneutes Pochen in meiner Brust erst gar nicht mehr aufkommen zu lassen.
Ich ging weiter und begann zu zählen. Eins...zwei...drei....
Immer wieder blickte ich bis zur nächsten Wegbiegung. Der Anstieg wollte kein Ende nehmen und zerrte an meiner Psyche. Wie lange sollte das noch so weiter gehen? Gelegentlich wurde ich von Pilger überholt, die weitaus besser konditioniert waren als ich. Man grüßte kurz mit einem “Buen Camino“ und jeder ging seinen Weg.

Dieter aus Freiburg lief auf mich auf. Auch ihm stand die Anstrengung im Gesicht geschrieben. Wir pausierten einen Augenblick, reichten uns gegenseitig die Wasserflaschen, die seitlich in unseren Rucksäcken steckten und ohne fremde Hilfe für einen selbst nicht erreichbar waren, ohne den Rucksack vorher abnehmen zu müssen. Ich klagte ihm, dass der Blick nach vorne auf den nicht endenden Anstieg sehr an meinen Nerven zerrte. Er gab mir den Rat, meinen Blick beim Gehen vor die Füße zu richten, als wenn ich ein Cent Stück auf dem Boden suchte. So würde es sich leichter laufen.
Kurz nachdem wir wieder gestartet waren, entfernte auch er sich relativ schnell von mir.

Er hatte Recht. Es lief sich wesentlich leichter, wenn man nicht permanent nach vorne schaute. Mit Gegenverkehr war ja nicht zu rechnen, da im Allgemeinen bekannt ist, dass es sich bei dem Jakobsweg um eine Einbahnstraße handelt und alle Pilger in die gleiche Richtung laufen.
Schritt für Schritt schleppte ich mich den Pass hinauf in der Hoffnung, bald den ersehnten Gipfel zu erreichen. Je höher ich kam, je weißer wurde es um mich. Kurze Zeit später hatte ich eine dicke Schneedecke unter meinen Füßen.
Während ich mich keuchend den Anstieg hoch schleppte, lief ich auf eine junge Amerikanerin auf. Auch sie hatte erhebliche Probleme. Als ich mit ihr auf gleicher Höhe war, blicke sie mich mit Tränen in den Augen an und sagte: „Where is the town?“
„I don´t know“, antwortete ich.
Ich hatte selbst keine Ahnung, wie lange der Anstieg noch andauern würde. Sie schaute sich kurz um und rief hinunter ins Tal: „Mom, it`s ok?“
„It`s ok, baby“, hörte ich ihre Mutter aus dem Tal antworten.
Diese kurze Begegnung vermittelte mir, dass ich nicht der Einzige war, dem der Anstieg erhebliche Probleme bereitete; es gab mir Mut und eine gewisse innerliche Ruhe.
Kurze Zeit später hörte ich Stimmen. Ich blickte hoch und erkannte im Nebel einige Pilger, die beieinander standen und sich unterhielten. In der Hoffnung, nun endlich den Gipfel erreicht zu haben, mobilisierte ich meine letzten Kräfte und brachte die letzten 50 Meter hinter mich. Dieter aus Freiburg war ebenfalls unter ihnen. „Du hast es geschafft!“, rief er mir zu.

Gott sei Dank!!!

Ich warf erleichtert meinen Rucksack ab und blickte zurück. Ich hatte es geschafft. Ich hatte den Gipfel erreicht. 700 Höhenmeter waren bewältigt.

Glücksgefühle flossen durch meinen Körper.

Auf dem Gipfel
Der Gipfel

Bis zur Gipfelkapelle, die sich hinter einer Nebelwand verbarg, waren es noch 200 Meter. Dieter, der bereits wieder im Aufbruch war, meinte, ich sollte die Abkürzung durch die angrenzende Wiese nehmen, ich würde dann gleich auf die Landstraße stoßen, die zum Kloster Roncesvalles führte. Er verabschiedete sich mit einem „Buen Camino“ und war Augenblicke später im Nebel verschwunden.

Jetzt gönnte ich mir eine kurze Rast, stärkte mich mit einem Baguette und etwas Obst und machte mich kurze Zeit später wieder auf den Weg.
Nachdem ich den Scheitelpunkt des Ibaneta-Pass auf 1057 Meter überschritten hatte und es nun über die Landstraße bergab ging, waren die Strapazen der letzten 4,5 Stunden vergessen. Frohen Mutes und in bester Laune schritt ich auf Roncesvalles zu.

Als ich in der Klosteranlage eintraf, winkten mir von weitem Sandy und Christian zu. Sie waren schon vor einer knappen Stunde hier eingetroffen. Mit Hannelore hatten sie auch schon gesprochen, sie hatte sich im Hotel des Klosters eingebucht und wartete auf die Ankunft ihrer Freundin.
Und wie sieht es mit Schlafen aus?
Sie zeigten auf einen großes Jahrhunderte altes Bruchsteingebäude außerhalb der Klosteranlage. „Da drüben ist die Herberge!“
An den Flanken befanden sich kurz unterhalb der Dachrinne drei kleine Fenster, die nicht größer als Schießschächte waren und ursprünglich wohl auch dafür gedacht waren.
In Anbetracht, dass in Roncesvalles die Außentemperatur nicht weit über dem Gefrierpunkt lag, war unser erster Gedanke, sollte die Herberge nicht über eine Heizung verfügen, wir mit Sicherheit in der kommenden Nacht uns einen kalten Hintern holen würden.
Also ab ins Pilgerbüro und als Erstes die Frage geklärt: Heizung? Ja oder nein?
Man versicherte uns, dass das Gebäude beheizt sei, worauf wir den Entschluss fassten, hier zu nächtigen.
Die Herberge wurde um 14:00 geöffnet. Wir hatten noch etwas Zeit und nahmen im Klosterrestaurant einen heißen Kaffee zu uns. Kurz vor 14:00 begaben wir uns zur Herberge. Es hatten sich vor dem Eingang schon einige Pilger versammelt, die ebenfalls heute hier nächtigen wollten. Wir gesellten uns zu ihnen und warteten darauf, dass sich die Pforte öffnete.
Als Erstes mussten wir, nachdem man uns Einlass gewährte, unsere Schuhe ausziehen und in ein bereit stehendes Regal, das sich gleich neben dem Eingang befand, abstellen. Die Herberge durfte nicht mit Straßenschuhen betreten werden. Aus hygienischen Gründen, versteht sich.

Wir ergatterten gleich neben dem Eingang drei Betten in einer Ecke. Die Herberge bot 80 Pilger ein Nachtlager in tristen eisernen Doppelstockbetten. Das unverputzte fast schwarze Bruchsteingemäuer war zu anfangs etwas gewöhnungsbedürftig, jedoch nach einiger Zeit - je mehr sich die Herberge füllte - entstand eine angenehme Atmosphäre. Der Saal wurde durch drei vom Giebel herabhängende runde Leuchter und den sechs kleinen Schießschächten belichtet. Sie gaben dem Raum ein leicht schummriges Licht. Im Kellergeschoss befand sich eine großräumige saubere Sanitäranlage, ein Aufenthaltsraum mit Telefon, Internet und Getränkeautomaten. Trotz des kahlen dunklen Bruchsteingemäuer strahlte die Herberge eine angenehme Atmosphäre aus.

Den Rest des Tages verbrachte ich in der Horizontale und erholte mich von den Strapazen der vergangenen Stunden.
Um 19:00 ging ich ins Klosterrestaurant, wo ich bei meiner Ankunft ein Pilgermenü vorbestellt hatte. Der Kellner wies mir einen Platz an einem Vierertisch zu. Mit mir am Tisch saßen ein Kanadier, eine Französin und ein Engländer. Die Atmosphäre war gleich zu Anfang freundlich und nett. Man stellte sich mit seinem Vornamen und seiner Nationalität vor.
Zur Vorspeise gab es eine Terrine mit einer kräftigen Gemüsesuppe. Der Kanadier begann sofort mit der Verteilung der Suppe und füllte unsere Teller. Als Hauptgang wurde eine Forelle mit Fritten serviert und zur Nachspeise einen Joghurt. Eine Karaffe Rotwein und Wasser gehörten ebenfalls zum Pilgermenü und wurden von uns bis auf den letzten Tropfen geleert. Insbesondere der Rotwein!
Um 20:00 ging es gemeinsam in die Pilgermesse. Als Erstes wurden alle anwesenden Nationalitäten begrüßt. Es befanden sich Pilger aus den USA, Kanada, Brasilien, Südafrika, Australien, Kambodscha Korea, sowie aus fast allen EU-Länder unter uns.
Die Patres gaben Gas und nach einer halben Stunde war die Messe gelesen. Zum Schluss wurden alle Pilger zum Altar gebeten und man empfing seinen Pilgersegen.

Jetzt konnte ja nichts mehr schief gehen!

Zurück in der Herberge kroch ich in meinen Schlafsack und bewegte mich keinen Millimeter mehr.
Kurz vor 22:00 traf noch eine Pilgerin aus Bayern ein und belegte das letzte noch freie Bett über mir. Sie hatte sich leicht einen auf die Lampe gegossen und war sehr redefreudig. Der Herbergsvater hatte ihr ans Herz gelegt sich zu beeilen, da ab 22:00 Nachtruhe herrschte.
Um 22:00 wurde ein „Ave Maria“ eingespielt. Anschließend gab es einen dumpfen Knall und die Herberge lag im Dunkeln. Die Pilgerin über mir, unterhielt sich noch lautstark mit ihrem italienischem Bettnachbarn, worauf der Herbergsvater einschritt und sie zur sofortigen Ruhe ermahnte.
Schlagartig war Ruhe im Saal. Bis auf ein paar Schnarcher am anderen Ende des Saals, die weiterhin fröhlich um die Wette schnarchten. Kurze Zeit später fiel ich in das Land der Träume.

Am folgenden Morgen um 6:00 wurde das Licht wieder eingeschaltet. Mit einem leisem und immer lauter werdenden „Ave Maria“ holte man uns sanft aus dem Schlaf. Als erstes warf ich mir meinen alltäglichen Chemiecocktail ein und machte mich startklar. Da es kein Frühstück gab, nahm ich zwei Espresso auf ex und ging raus in die Kälte. Es hatte die Nacht über gefroren und war zum Teil noch glatt auf der Straßen.

Wir, Sandy, Christian und ich, verließen Roncesvalles Richtung Burguete. Unser Ziel für heute war das 23 km entfernte Zubiri. Anfangs lahmten meine Beine noch ein wenig, was jedoch nach einer halben Stunde, nachdem ich mich eingelaufen hatte, wieder nachließ.
Bei angenehmer Kühle und strahlendem Sonnenschein lief es sich bequem teils über Asphaltstraßen, Wald und Feldwegen nach Burguete, leicht bergab. Im dortigen Krämerladen deckten wir uns mit Lebensmittel für den heutigen Tag ein und weiter ging es.

Sandy und Christian
Sandy und Christian

Zwischen Burguete und Espinal führte uns der Weg durch eine herrliche Grünkulisse, vorbei an Weiden durch Wälder über kleine Bachläufe. Immer wieder blickten wir zurück und genossen die Fernsicht und das Panorama der Pyrenäen.
Zwischen Espinal und Linzoáin war es dann mal wieder vorbei mit lustig. Auf jeden Fall für mich!
Der erste kurze aber heftige Anstieg stand bevor.
„Ich könnte kotzen“, sprudelte es aus meinem Mund. „Derjenige, der sich diese Streckenführung ausgedacht hatte, der konnte doch nicht alle Tassen im Schrank gehabt haben“ schimpfte ich wie ein Rohrspatz, während ich mich den Anstieg hoch kämpfte. Hatte ich gestern nicht schon genug gelitten?

Köbes (kölscher Name für Jakob), Du machst es einem aber wirklich nicht leicht!!!

Etwas zur Historie:
In den Kölner Brauhäusern werden die Kellner „Köbes“ genannt. Dieser Ausdruck stammt noch aus dem frühen Mittelalter. Viele Pilger, die auf dem Weg nach Santiago über Köln kamen, machten dort Halt und verdienten sich in den Kölner Brauhäusern Geld für ihre Weiterreise. Dies blieb auch den Kölnern nicht verborgen und so wurde aus einem Jakobspilger mit der Zeit ein „Köbes“.

Sandy und Christian kamen natürlich wesentlich schneller aus den Socken und waren schon nach kurzer Zeit hinter der nächsten Wegbiegung verschwunden. Ich hingegen hatte schon nach kurzer Zeit wieder mal die Zunge aus dem Hals hängen und musste einen Zwischenstopp einlegen. Als ich endlich den Anstieg geschafft hatte, saßen die beiden auf Baumstümpfen und frühstückten bereits.

Blick auf die Pyrenäen
Die Pyrenäen

Die Landschaft wurde nun zusehends hügeliger. In Linzoáin legten wir eine Mittagsrast ein, bevor uns der Weg nun stetig bergauf über den auf 800 Meter gelegenen Erro-Pass führte.
Anfangs noch erleichtert, dass es nun endlich bergab ging, machte sich der Abstieg nach Zubiri, das in einem Tal liegt, schon nach einiger Zeit in meinen Kniegelenken bemerkbar. Sie begannen durch das permanente Abfedern zu schmerzen.

Nach einer guten Stunde passierten wir die mittelalterliche Brücke von Zubiri. Gleich hinter der Brücke befand sich eine private Herberge. Sie sah zwar nicht besonders einladend aus, jedoch in Anbetracht, dass es schon relativ spät war und zumindest mir der heutige Tag einiges an Kraft gekostet hatte, entschieden wir uns hier zu nächtigen, da es bis nach Larrasoana, wo sich die nächste Herberge befand, nochmals 5 km zu laufen gewesen wären.

Wie gesagt, die Herberge bot das Nötigste auf engstem Raum an sanitären Anlagen und Aufenthaltsmöglichkeiten. Wir belegten die letzten Betten in einem 8 Bettzimmer. Dieses Mal zog ich die Arschkarte und bekam ein Bett in der oberen Ebene.
Mit uns belegte ein spanisches Ehepaar, zwei Amerikanerinnen und ein Franzose das Zimmer. Als Erstes versuchte der Spanier, Christian einen Job als Herba-Life Vertreter aufzuschwatzen. Im Anschluss, ich war gerade im Begriff meinen Rucksack in mein Spind zu hieven, öffnete sich wie von Geisterhand das untere Spind und der darin befindliche Rucksack meines Bettnachbarn fiel mir zu Füßen. Der Versuch den Rucksack wieder in sein Spind zu verbannen, endeten kläglich. Das Scheiß-Ding wollte partout nicht in seinem Spind bleiben. Jedes Mal, wenn ich die Spindtüre schloss, öffnete sie sich wieder und der blöde Sack kam mir entgegengeflogen.
Ich malte mir aus, wie blamabel für mich die Situation enden könnte, wenn jetzt plötzlich der Franzose in der Türe stehen würde.
Mit Sicherheit wäre sein erster Gedanke: „Was hat der an meinem Spind zu suchen?“
Nachdem auch der Versuch scheiterte die Spindtüre mit meinen Trekkingstöcken zu verkeilen, blieb mir nichts anderes übrig, als meinen Rucksack als Gegengewicht zu nutzen, ihn vor seine Spindtüre zu stellen, um den widerspenstigen Sack in Raison zu halten.
Das Etagenbett mir gegenüber wurde von den beiden Amerikanerinnen belegt. Eine der beiden hatte sich bereits gegen 21:00 in ihr Bett verkrochen. Eine große schwarze Augenbinde schmückte ihr Gesicht.
Es sah bescheuert aus. Ich grinste sie an und streckte ihr die Zunge heraus, um zu testen, ob das blöde Ding auch das hielt, was es versprach.
Keine Reaktion!
Trotz meines gesunden Schlafs schreckte ich nachts auf. Der Spanier lamentierte lauthals mit seiner Frau. Was ging denn hier ab? Konnten die beiden ihre Unstimmigkeiten nicht tagsüber abklären, musste das ausgerechnet mitten in der Nacht sein?
Das Palaver war Gott sei Dank nicht von langer Dauer, der Spanier beruhigte sich wieder und Minuten später fiel ich wieder in einen Tiefschlaf.
Am frühen Morgen wurde ich durch Geräusche im Waschraum, der direkt an unser Zimmer grenzte, geweckt. Ich fühlte mich ausgeschlafen und blinzelte, ohne meine Augen richtig zu öffnen oder meine Brille aufzusetzen, auf meine Armbanduhr.
6:30, Zeit zum Aufstehen!
Die Betten meiner amerikanischen Bettnachbarn waren bereits leer. Als ich den Waschraum betrat, stand eine von ihnen am Waschbecken und frisierte sich gerade. Ich gesellte mich zu ihr und begrüßte sie freundlich: „Good morning.“
Sie allerdings warf mir einen bitterbösen Blick entgegen.
Was ist denn in diese blöde Kuh gefahren. Hatte sie vielleicht etwas gegen mich? Ich war mir keiner Schuld bewusst. Oder???
Litt ich etwa unter Schlafwandlerei? Hatte ich in der vergangenen Nacht vielleicht schlaftrunken mein Bett verlassen, war zu ihr ins Bett gestiegen und hatte versucht mich an sie zu kuscheln???
Im gleichen Augenblick betrat ihre Freundin den Waschraum.
„Was he?“ und deutete auf mich.
„No, he does not!“, antwortete sie. Ihre Gesichtszüge nahmen daraufhin eine freundliche Form an und beide begrüßten mich ebenfalls mit einem „Good morning“.
Von der Situation etwas überfordert, konzentrierte ich mich auf meine Körperpflege. Eine halbe Stunde später saß ich im Frühstücksraum bei einem Espresso, um meine Lebensgeister zu mobilisieren. Die beiden Amerikanerinnen hatten bereits die Herberge verlassen. Neben mir stand ein junger Mann aus Kambodscha und bereitete sich durch Stretching-Übungen auf den bevorstehenden Tagesmarsch vor. Ansonsten war es noch verdächtig ruhig in der Herberge. Ich blickte auf meine Uhr und stutzte. 6:00?
Hatte ich mich doch tatsächlich beim Aufwachen verlesen und war bereits um 5:30 aufgestanden. So ein Scheiß!
Ich überlegte nochmals ins Bett zu steigen, verwarf den Gedanken, zog mir noch einen Espresso rein, drehte mir eine Zigarette und ging vor die Herberge eine qualmen.
Nachdem auch Sandy und Christian aufgestanden waren und beim Frühstück saßen, erzählte ich ihnen die prekäre Situation, die mir am heutigen Morgen im Waschraum mit den beiden Amerikanerinnen widerfahren war.
Sie berichteten mir, dass in der vergangenen Nacht der Spanier so laut geschnarcht hatte, dass eine der beiden Amerikanerinnen zu ihm ans Bett geeilt war und ihm einen fürchterlichen Einlauf verpasst hatte.
Allem Anschein nach hatte wohl die andere Amerikanerin gedacht, ich wäre der vermeintliche Schnarcher gewesen.

Gegen 7:30 waren wir startklar und machten uns bei kühlen Temperaturen und bewölkten Himmel auf den Weg ins 22 km entfernte Pamplona.

Der nächste Artikel "Pamplona und der Sierra del Perdón" erscheint in ca. 3Wochen.

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