... newer stories
Samstag, 13. Februar 2010
Santiago ich komme
h.albu, 16:53h
Prolog
Ich muss zu meiner eigenen Schande eingestehen, der Hl. Jakobus mag es mir verzeihen, das mir bis vor zwei Jahren der Begriff „Jakobsweg“ und das Phänomen das sich hinter im verbirgt, völlig unbekannt war. Obwohl ich der katholischen Konfession angehöre, mit elf Jahren schon morgens um 6:00 Uhr in unser städtisches Krankenhaus eilte, das zur damaligen Zeit von Ordensschwestern geleitet wurde, um dort als Ministrant die Frühmesse zu dienen. Als Honorar erhielt ich ein gut belegtes Schulbrot und gelegentlich von Schwester Oberin einen Anschiss wenn meine Müdigkeit stärker war als die Ehrfurcht vor dem lieben Gott und ich verschlafen um den Altar herum schlürfte.
Während meiner Ministrantenzeit hegte ich, „aber nur für kurze Zeit“, sogar einmal den Wunsch, selbst das Amt eines Priesters zu bekleiden. Aber wie schon gesagt, nur für kurze Zeit!
Mit zunehmendem Alter lies meine Verbundenheit zur Kirche merklich nach. Ich besuchte die Hl. Messe nur noch zu besonderen Anlässen, wie Taufen, Hochzeiten und Sterbefällen. Nichts des du trotz, ich bin Christ und zahle brav meine Kirchensteuer.
*****
Es ist nicht von der Hand zu weisen, das Hape Kerkeling einiges an der Popolarität des Jakobsweg in Deutschland dazu beigetragen hat. Man hörte des öfteren, Hape ist den Jakobsweg gegangen und hat seine Erlebnisse in einem Buch nieder- geschrieben. Schön, schön, dachte ich.
Nachdem sich auch noch weitere Promis, in den Medien voller Stolz bekannten, den Jakobsweg gegangen zu sein, war ich der Auffassung, das es sich hier um einen Trampelpfad in den Alpen handelte. Zu Fuß, über die Alpen talpen?
Nein, das war nicht mein Ding!
Erst als ein Bekannter mir erzählte, das zwei Freunde von ihm in Kürze nach Spanien fliegen würden, um sich auf den Jakobsweg zu begeben, wurde ich hellhörig. War ich vielleicht mit meinem Trampelpfad auf dem Holzweg?
Das kommende Wochenende setzte ich mich an meinem Rechner und zog mir die ersten Infos über den Jakobsweg. Ich kam aus dem Staunen nicht heraus. Man o man, was hatte ich mich auf meinem Trampelpfad verlaufen.
Wie jemand, der kurz vor dem Verdursten stand, sog ich alle Informationen gierig in mir auf. Ich las, Reiseberichte von Pilgern, durchwanderte Foren studierte Routen und war fasziniert von den Fotos, die so mancher Pilger ins Netz gesetzt hatte.
Mit Erstaunen stellte ich fest, das sogar eine Route fast an meiner Haustür vorbei führte. Der Jakobsweg von Wuppertal über Köln nach Trier. Mein Augenmerk allerdings lag auf der Achse „Saint Jean Pied De Port nach Santiago“.
In den letzten 10 Jahren wurden in Santiago 1,2 Millionen Pilger registriert, angereist aus fast allen Erdteilen und allen sozialen Schichten. Immer öfters fragte ich mich, was einen Menschen dazu bewegt, diese Strapaze auf sich zu nehmen und den ersten Schritt auf eine 800 km lange Fußreise zu setzten. War es Abenteuerlust oder nur für eine gewisse Zeit dem schnelllebigen Leben zu entfliehen, um seine innere Balance zu finden um sie wieder ins rechte Lot zu rücken? Oder war es einfach nur der Glaube?
*****
Allmählich, je mehr ich mich mit dem Phänomen „Jakobsweg“ auseinander setzte, stieg in mir das Verlangen, mich selbst dieser Herausforderung zu stellen. Was mich nun endlich dazu bewegte, den Weg gehen zu wollen, kann ich mit Faszination und Neugier begründen.
Die Faszination, der historischen Hintergrund der diesen Weg zeichnet, die Schönheit der Landschaft, mit ihren geschichtsträchtigen Städten, Dörfern und Weiler die den Weg säumen und einem täglich zu neuen Antrieb verleiten, seinen Weg zu gehen.
Die Neugierde, war ich wirklich so Willensstark, mir Morgen für Morgen meinen Rucksack aufzuschnallen und ohne das mich einer in den Hintern treten musste, los zu laufen?
Was würde in mir vorgehen wenn der Tagesablauf entgegen sonstigen Gewohnheiten nur aus Wandern, Nahrungsaufnahme und der Suche nach einer Schlafstelle bestand?
Ich stellte mir die Frage, ob ich mit meinen siebenundfünfzig Jahren nicht schon zu alt für dieses Vorhaben war. Wurde aber Dank meiner Recherche eines anderen belehrt. Sehr viele Pilger waren schon jenseits der fünfzig und der Anteil der über sechzig Jährigen schlug auch noch gut zu buche.
Problem teilweise gelöst!
Zwischenzeitlich hatte ich Hapes „Ich bin dann mal...“, Paulo Coelho`s „Sechs Tage irren in den Pyrenäen“ und Tim Moore`s
„Mein Kampf mit dem Esel“ gelesen. Wobei ich mir die Bemerkung erlauben darf, Hape vermittelt einem auf amüsanter Weise die Strapazen, dehnen man sich stellen muss, Paulo Coelho, na ja, war mir persönlich etwas zu spirituell. Man kommt des öfteren ins Grübeln und fragt sich, ob er sich wirklich auf dem Jakobsweg befunden hat oder ihn nur als Kulisse für seinen Roman nutzte. Tim Moore hingegen, glänzte wiederum durch seinen typisch trockenen englischen Humor und Selbstironie.
In einem Forum stieß ich auf die Empfehlung, das man das Buch von Shirley MacLaine gelesen haben muss, um mitreden zu können. Ich fragte mich: „Wobei mitreden?“
Man kann im Vorfeld so viel lesen und sich inspirieren lassen, aber am Ende zählt das, was ich von meiner Reise mit nach Hause nehme. Ich ziehe vor jedem den Hut der den ersten Schritt macht, ob er den Weg aus religiösen, kulturellen oder persönlichen Gründen geht, ob er in Santiago ankommt oder nicht.
Weiterhin stieß ich bei meiner Recherche auf den Unmut einige Pilger, die sich darüber opponierten, das es mittlerweile Bustouristen ermöglicht wird, sich für 2,50 € eine Compostella ausstellen zu lassen.
Seien wir doch mal ehrlich. Ist es nicht das Gleiche, als wenn ich mir z.B. auf Mallorca bei einem Straßenjuwelier für 20,00 € eine Rolex Imitation kaufe und im Anschluss Zuhause den Prolli heraus hängen lasse? Wenn man den Weg geht, geht man ihn für sich und nicht für andere!
Das Problem Alter war gelöst. Und wie stand es mit meiner Gesundheit und meiner Fitness? Vor fünfzehn Jahren hatte eine Niere, einfach so ihren Betrieb eingestellt, während die andere ein hübscher Tumor schmückte. Nach diversen Operationen, wurde alles wieder gerichtet und man verkündete mir, das ich damit rechnen müsse, mich über kurz oder lang, mit der Dialyse vertraut zu machen. Wie gesagt, es ist fünfzehn Jahre her und meine noch verbleibende Niere spült immer noch brav bis zum heutigen Tag, mein Blut.
Ich stellte mir die Frage, wann, sollte ich mich auf die Socken machen? Sollte ich vielleicht warten bis zur Rente? Bis dahin waren es noch gute acht Jahre. Und was wäre, wenn sich in dieser Zeit mein zweites Nierchen auch noch verabschieden würde? Es gibt zwar reichlich Herbergen am Weg, aber ob in acht Jahren jede zweite oder dritte Herberge auch eine eigene Dialysestation vorweisen konnte?, na ja, ich bezweifele es.
Also, nichts wie ran an den Gaul. Ich überlegte Krampfhaft in welchem Monat ich starten sollte. Im Frühjahr und mir gleich zu Beginn in den Pyrenäen den Arsch abfrieren? Im Sommer und schwitzen wie ein Schwein? Nein! Beides kam für mich nicht in Betracht.
Spätestens jetzt werden die ersten Kritiker behaupten, schon wieder ein Touri, der sich auf den Weg machen will um dem echten Pilger sein Nachtlager streitig zu machen.
Ist ja gut, ich bin doch auch nicht mehr der Jüngste!!!
Somit fasste ich zu den Entschluss, im Mai des kommenden Jahres zu starten. Demnach standen mir noch elf Monate der Vorbereitung zur Verfügung. Erneut kam ich ins Grübeln. Und wie sieht es mit deiner Fitness aus? Sport war noch nie meine Stärke. Selbst in jungen Jahren beim Fußballspielen, wenn es irgendwie vermeidbar war, verzichtete man auf mein Mitspielen und wurde erst einmal als Reservespieler auf die Ersatzbank verdonnert. Sollte ich dann doch zum Einsatz kommen, war ich steht’s der erste, der wieder ausgewechselt wurde. Zum einen kam ich beim laufen nie aus den Socken, obwohl ich schon als Jugendlicher eine drahtige Figur hatte, zum anderen, weil meine Schüsse, sollte ich mal zufällig in Ballbesitz geraten, unberechenbar für meine Gegner und gefürchtet von meinen eigenen Mitspieler waren. Die Bälle kamen Grundsätzlich nie dort an, wo ich sie hin schoss!
Gefürchtet war auch mein Auftauchen im eigenen Strafraum. Unserem Torwart standen jedes mal die Haare zu berge, da es gelegentlich passierte, das ich ihm eins in die Bude setzte.
Gefeiert wurde ich dann von unseren Gegnern, jedoch in ihrer Mannschaft mitspielen, das durfte ich auch nicht.
Sofort meldete sich mein schlechtes Gewissen. Du, und den Jakobsweg laufen? Du kannst ja noch nicht einmal ein paar Turnschuhe dein Eigen nennen. Und deine Jogginghose trägst du auch nur, weil deine Frau es dir verboten hat, dich mit deiner Jeans auf der Couch zu räkeln. Ja ja liebes Gewissen, du hast ja recht. Aber physisch und mental fühle ich mich stark genug, mich dem Weg zu stellen.
Du hast ja noch nicht einmal das „Seepferdchen“! Liebes Gewissen, ich möchte den Jakobsweg laufen, und nicht schwimmen!
Erneut meldete sich mein schlechtes Gewissen: Und welche Sportart hast du in den letzten dreißig Jahren betrieben?
Ich war leidenschaftlicher Sportraucher, in der zweiten Liga!!
Erklärender Weise möchte ich hinzu fügen, das in der ersten Liga nur Kettenraucher „rauchen“.
„Denk an Hape`s erste Etappe. Von Saint Jean Pied de Port nach Roncesvalles. 27 Km über die Pyrenäen. Das schaffst du nie! Du wirst schon nach einem Kilometer über irgend einem Zaun hängen und dir die Lunge aus dem Hals kotzen!
Moment mal....!, gebot ich meinem schlechten Gewissen, „Du hast wohl vergessen.......!“
Vor circa eineinhalb Jahren, wurde mal wieder meine Wirbel- säule bockig. Ich war es schon von ihr gewohnt, das sie sich turnusmäßig alle zwei bis drei Jahre in Form von erheblichen Rückenschmerzen bei mir meldete. Also, wie in den vergangenen Jahren, ab zum Orthopäden, ein kleines Spritzchen, eine Woche Streckbank, eine Woche Fango und Massage und die Sache war wieder in Butter. Zum Abschluss gab einen warmen Händedruck und einen leichten Schlag von Onkel Doktor in den Rücken, mit der Empfehlung: „Treiben sie etwas Sport. Ihre Wirbelsäule wird es ihnen danken“.
Und dieses mal, beim ersten aufmucken, ran an den Rechner. Fragen wir doch mal „Doktor Google“!!!!
„Was tun gegen Rückenschmerzen“ Das Zauberwort hieß „Yoga!“
Yoga für Zuhause, Unterwegs, auf der Arbeit, Yoga für hier und Yoga für da. Aufmerksam studierte ich über einen längeren Zeitraum etliche Beiträge und kam zu dem Ergebnis: „Yoga hilft gegen Rückenschmerzen!“
Ich überlegte allen ernstes, ob ich nicht mal einen Yoga-Kurs belegen sollte. Als ich dann noch erfuhr, das die Kosten für einen Kurs meine Krankenkasse übernehmen würde, machte ich mich im Netz auf die Suche nach einer Yogaschule. Wurde auch prompt fündig! Einige Straßen weiter bot eine Yogalehrerin Schnupperkurse an. Speziell für Anfänger über Fünfzig. „Super“, dachte ich und las mich auf ihre Seite ein. Detailliert schilderte die Gute den Ablauf einer Schnupperstunde. Und zum Ende der Stunde, ich zitiere: „wenn wir dann noch Lust haben, stimmen wir eine Mantra ein!“
Als wenn ich in eine Zitrone gebissen hätte, verzog sich mein Gesicht, was dazu führte, das die Kippe, die zwischen meinen Lippen steckte zu Boden viel. „Eine Mantra?“
„Sollte Singen etwa gut gegen Rückenscherzen sein?“, erstaunt pfiff ich durch die Zähne. Ja, wenn das so ist, konnte ich ja gleich in den hiesigen Kirchenchor eintreten. Ich sang zwar nicht schlecht, dafür aber Laut. Besonders, wenn ich mir vorher einen auf die Lampe goss.
Na, ja, das war es dann mit dem Schnupperkurs.
Umgehend entschloss ich mich, meine eigene Selbsthilfegruppe „Anonyme-Yogis“ zu gründen. Akribisch studierte ich die Seiten, die sich speziell mit der Stärkung der Wirbelsäule und der Rückenmuskulatur beschäftigten. Schnell erkannte ich, das sowohl eine vernünftige Atemtechnik als auch eine Entspannungsphase in das zukünftige Trainingsprogramm mit einbezogen werden musste.
Mit Sicherheit werde ich jetzt den Zorn einiger Leser auf mich ziehen, die hämisch behaupten werden: „Um vernünftig Yoga praktizieren zu können, braucht man einen ausgebildeten Jogalehrer!“
Ja, ja, liebe Schlaumeier ihr habt ja recht. Ich werde mich maßregeln und ab sofort das Wort „Gymnastik“ nutzen.
Ok?, dann lies weiter, ich bin noch nicht zum Ende gekommen!
Als erstes beschäftigte ich mich mit der Atmung. Sie war ein wichtiger Bestandteil meiner künftigen Gymnastikübungen mit yogischem Einfluss.
Sowohl Entspannungs- wie auch Erholungsphasen baute ich in mein Programm mit ein. Auf eine detaillierte Beschreibung meiner Gymnastikübungen möchte ich jetzt nicht weiter eingehen, da ich Unweigerlich gezwungen wäre, Fachbegriffe wie z.B. Der Baum, Die Schulterbrücke, Das Dreieck, Der Fisch, benutzen zu müssen. Hierdurch würde ich nur noch weiteren Zorn auf mich ziehen.
Mit Freuden stellte ich zu Beginn meiner Gymnastik mit yogischem Einfluss fest, das ich bei weitem nicht so steif war, wie mein Glied, morgens vor dem ersten Toilettengang.
Ein Fersensporn zog nach einiger Zeit die Aufmerksamkeit auf sich. Mein Orthopädie rückte ihm mit ein paar Weichsohleneinlagen zu Leibe. Und es das Problem kurzerhand beseitigte.
Konsequent zog ich mein Gymnastikprogramm durch. Mit dem Erfolg, das meine Wirbelsäule gelegentlich mal einen Piepser von sich gab, aber ansonsten mir keine weiteren Unannehmlichkeiten bereitete.
Zu Anfangs musste ich mich mehrmals täglich zu einem aufrechtem Gang ermahnen wenn ich mal wieder krumm wie ein Fragezeichen durch die Gegend schlürfte. Sogar mein Tabakgenuss, wo ich besonders Stolz darauf bin, wurde durch mein intensives Gymnastiktraining mit yogischem Einfluss immer weiter eingedämmt. Von Anfangs drei Tage für ein Päckchen Tabak, hierzu möchte ich bemerken das ich meine Zigarren selber drehe, reichte der Tabak mittlerweile eine Woche und länger. Meine Selbstgedrehten wurden mitunter so dünn, das sie mehr einem Zahnstocher glichen, als einer Zigarette. Des öfteren bekam ich den gut gemeinten Ratschlag, auf den Tabak ganz zu verzichten und das Blättchen lediglich zu kauen.
Na, ja, Danke für den Tipp! Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen.
Nachdem ich endgültig den Entschluss gefasst hatte den Weg zu gehen, tauchte die Frage auf, wie sage ich es meinen Lieben? Es waren ja immer noch meine Frau Marion, mit der ich schon seit 32 Jahren eine harmonische Ehe führte, unser 28 jährigen Sohn Kay und unsere 35 jährige Tochter Daphne nebst 38 jährigen Schwiegersohn Michael seines Zeichens Marine Offizier, sportlich sehr aktiv, selbst schon am Nijmegen-Marsch teilgenommen, samt ihrer 3 Kinder Lara, Meira und Quentin, nebst Hofhund Gina, im Spiel.
Bewaffnet mit Hapes Buch „Ich bin dann mal....“, gab ich als erstes meine Bewunderung für Hapes Leistung preis. Als ich jedoch mit äußerster Vorsicht den Wunsch äußerte, den Weg selbst einmal gehen zu wollen, gab es von Seitens meiner Gattin den ersten kräftigen Schuss vor den Bug. „Dafür bist du viel zu Alt. Das ist etwas für junge Leute. Schlag es dir aus dem Kopf. Du spinnst!“
Meine anfängliche Argumentation, das ich bei weitem nicht der Älteste wäre, der den Weg erfolgreich zurück gelegt hatte, stieß bei Ihr allerdings auf taube Ohren.
Ich ruderte zurück in sicheres Gewässer, schwenkte die weiße Friedensfahne und rief: „Doch nur die ersten 200 km! Den Rest hebe ich mir für später auf“.
Keine Reaktion!
Das konnte ja noch Heiter werden! Wenn sie alle so reagieren, stand mir noch ein steiniger Weg bevor, nicht nur auf dem Camino. In Alarmbereitschaft und gewarnt von dem ersten Bugschuss, offenbarte ich mich meinem Sohn. Ein nachdenklicher Blick, ein leichtes zustimmendes Nicken.... „Mach es wenn es dir Spaß macht!“
Zwischenzeitlich, war ich meiner Gattin soweit auf den Senkel gegangen, das sie genervt bei gab.
„Wenn du unbedingt gehen willst, dann geh! Aber ohne mich!“
Ein riesiger Felsbrocken viel von meinen Schultern. Hier spiegelte sich das Geheimnis unseres seit 32 Jahren andauerndes, harmonisches Eheglück wieder. Gegenseitiges Akzeptieren und Vertrauen!
Als ich dann zum guten Schluss meiner Tochter mein Vorhaben mitteilte, viel ich fast vom Hocker. „Super Papa! Ich fände es gut!“
Durch ihre positive Reaktion geriet der anfängliche Bugschuss, meiner Frau Marion weitgehend in Vergessenheit. Jetzt stand nur noch das Statement meines Schwiegersohns Michael aus.
Mit Sicherheit würde ich in Kürze von ihm zum Rapport bestellt!
Kurze Zeit später schlug unsere Tochter mit fünfköpfigem Anhang, ihr Mann, unsere 3 Kinder Enkelkinder inklusive Hofhund Gina, zu einem unerwartetem Kurzbesuch bei uns ein. Die Freude war groß, wir gesellten uns auf den Balkon, plauderten ausgelassen, während unsere Enkelkinder in kürzester Zeit, unseren ansonsten geordneten Haushalt kurzerhand in eine Achterbahn verwandelten. Andauernd kam einer unserer lieben Enkel 1 und 3 Jahre zu uns und zeigten stolz Mama und Papa, was Oma und Opa so alles in ihren Schränken aufbewahrten. Mal war es eine Fleischgabel, mal eine Glasschüssel oder ein Kochtopf. Alles wurde fein säuberlich auf unserem Balkon abgestellt, bevor sie zu einem weiteren Erkundungszug ausschwirrten.
Plötzlich viel das Zauberwort „Jakobsweg“. Mein Schwiegersohn der neben mir saß, blicke mich von der Seite an.
„Ich habe gehört, du willst den Jakobsweg gehen?“
„Ja!“
Seine Gesichtszüge schwankten zwischen einem leichten Grinsen und ein wenig Anerkennung. Wobei er mit seinem Kopf nickte, wie ein Wackeldackel im Fond eines alten Ford Granada.
„Weißt du auch, worauf du dich da einlässt?“
„Ja!“
„Das ist nicht mal eben zum Kiosk latschen und eine Pulle Bier kaufen!“
„Ich weiß!“
Jetzt war Vorsicht geboten. Ich bewaffnete mich mit meinem Fachwissen und wartete gespannt auf seinen ersten Angriff.
Sein Nicken wurde immer stärker. Ich deutete es hoffnungsvoll, als Zustimmung.
„Fändt ich gut... alter Pilger!“, meinte er plötzlich anerkennend und gab mir einen kräftigen Schlag auf die Schulter.
Entwarnung! 1:0 für mich.
„Das sind aber in paar Kilometer“. Seine Stimme klang ernst und herausfordernd.
„Ich weiß!... Ich möchte ja auch nur die ersten 200 km laufen. Von Saint Jean Pied bis Najera!“
„Und in welcher Zeit?“
„In 14 Tagen!“
Sein Nicken signalisierte mir erneut seine Zustimmung.
2:0 für mich.
„Und wann?“
„Nächstes Jahr im Mai“.
„Dann mach dich mal langsam auf die Socken und lauf dich warm. Und nicht erst nächstes Jahr im April“.
„Ich habe schon damit begonnen“, erwiderte ich stolz. In der Tat, ich hatte schon einige kleine Märsche, sagen wir lieber Spaziergänge hinter mich gebracht, die allerdings nie länger als eine Stunde andauerten.
Prompt bekam ich lautstark Schützenhilfe von meiner Frau Marion.
„Der Papa läuft jeden Sonntagmorgen!“
„Hast du auch vernünftiges Schuhwerk? In Adiletten wirst du auf dem Jakobsweg nicht aus den Socken kommen“.
Jetzt hatte er mich erwicht! Ich hatte wirklich noch kein vernünftiges Schuhwerk. Meine bisherigen Spaziergänge hatte ich in Sneakers hinter mich gebracht.
„Ich werde mir ein paar Trekkingschuhe zulegen“.
„Das würde ich dir auch wärmstes empfehlen. Und zwar jetzt und nicht eine Woche bevor du los latschst. Sie müssen vorher noch
eingelaufen werden“.
Ei ei Sir!“, antwortete ich zackig. Es gab noch einige gute Tipps von ihm und unserem Sohn Kay der selbst einige Jahre in einer Luftlandeeinheit gedient hatte und geübt im tragen von 120 Liter Rucksäcke über größere Distanzen war.
Einige Tage später, ich war gerade im Auftrag der „gema“ unterwegs ( Schatz, „geh mal“ eben etwas Einkaufen), hatte Deutschlands bekanntster Discounter Trekkinghosen 2in1 mit abnehmbarem Beinen im Angebot. Da ich zu der Sorte Männer gehöre, für die ihre eigene Konfektionsgröße die große Unbekannte ist und es mir fern lag, mich zwecks einer Anprobe am Wühltisch zu entkleiden, um im Anschluss wegen sexueller Nötigung aus dem Laden geworfen zu werden, rief ich kurzerhand meine Frau an.
„Schatz, was habe ich für eine Konfektionsgröße?“
Schweigen!
„Wieso?“
Ich beschrieb ihr kurz mein Fundstück und wartete gespannt auch ihre Antwort. Als erstes erhielt ich die Nummer meiner Konfektionsgröße, als zweites einen Anschiss, wie man nur so blöde sein kann und seine eigene Konfektionsgröße nicht im Kopf hatte. Sie endete mit dem meist gesprochenen Satz einer Langzeitehe: „Wenn du mich nicht hättest!“
Zu Hause angekommen stieg ich sofort in das neu erworbene Stück. Sie passte wie angegossen. Dank meiner Frau Marion!
Kurze Zeit später wurde ich erneut bei meinem lieblings Discounter fündig. Dieses mal waren es ein paar Trekkingschuhe. Aufmerksam las ich die Artikelbeschreibung. Ich hatte zwar keine große Ahnung, aber sie las sich gut!
Und dann der Preis 19,99 Euro!!!. Bei dem Preis musste der Schuh einfach gut sein!
Ich hegte zwar Zweifel, das der Schuh meine Vorbereitungszeit und meinen Pilgerweg überstehen würde aber zur Not konnte ich mir im kommenden Frühjahr immer noch ein paar Neue kaufen, mit denen ich mich dann endgültig auf den Weg machen würde.
Was hatte ich bis dato gelernt? Socken, eine Nummer zu klein, Schuhe eine Nummer zu groß!
Dieses mal war ich in der glücklichen Lage, meine Frau nicht anrufen zu müssen. Zielsicher griff ich nach der Größe 44. Ein prüfender kurzer Blick, Passt! Muss passen!
Zu Hause angekommen, inspizierte ich den Schuh etwas genauer. Erstaunt stellte fest, dass das Fußbett austauschbar war. Ich ersetzte sie gegen meine orthopädischen Weichpolstereinlagen, stieg in den ersten Schuh und humpelte durch unsere Wohnung. Anerkennend pfiff ich durch die Zähne. Es lief sich wie auf Wolken.
Als erstes war einlaufen der neu erworbenen Treter angesagt. Ich machte einige kleinst Märsche über eine Distanz von 5 km und achtete penibel darauf, ob sich irgendwo eine Druck oder Scheuerstelle bemerkbar machte. Nichts passierte!
Der Schuh war fantastisch! Er lief sich ausgezeichnet, bis zu dem Tag an dem ich mich in den Socken vergriff.
Es war Sonntagmorgen, meine Frau und ich gehören zu den Frühaufsteher und saßen bereits um 7:00 Uhr am Frühstücks- tisch. Eine knappe Stunde später warf ich einen prüfenden Blick aus dem Küchenfenster und blickte in einen wolkenlosen Himmel. Das richtige Wetter zum Laufen!
„Schatz, ich gehe etwas Laufen!“
„Ja, mach das!“
Ich hatte mir für heute zum Ziel gesetzt, das erste mal der 10 km Marke „Guten Tag“ zu sagen.
Ab ins Schlafzimmer, ein paar frische Socken aus dem Schrank,
hinein in die Treter und raus aus dem Haus. Die ersten 50 Meter Asphalt, dann scharf links in den Stadtwald auf die städtische Hundeküttelbahn, 500 Meter Slalom laufen.
Bereits nach den ersten 300 Meter spürte ich, das mit meinen Socken etwas nicht stimmte. Der Bund, der sich normalerweise sanft an meine Fesseln schmiegte, war auf dem Weg zu meinen Zehen und befand sich unter meiner Ferse. Toll, dachte ich, das kann ja heiter werden. Ein kurzer Stop, Schuhe auf, Socken hoch, Schuhe zu. Nur nicht aufhalten lassen!
Bereits nach weiteren 300 Meter hatten meine Socken ihr Ziel fast erreicht und befanden bereits sich unter meinem Span. Mein Atem wurde zusehends schwerer. Allerdings nicht vor Erschöpfung sondern vor Wut. Ein erneutes Anhalten war unumgänglich. Schuhe auf, Socken hoch, Schuhe zu. Sämtliche mir bekannten Schimpfwörter der aller übelsten Art, fielen mir wie von selbst aus dem Mund. Allerdings möchte ich sie hier nicht wiedergeben. Nach einer weiteren kurzen Distanz hatten sie ihr Ziel endlich erreicht. Sie hatten sich schützend, vor einem eventuell Frosteinbruch, sanft um meine Zehen gelegt.
Resigniert trat ich den Heimweg an. Die 10 Km Marke musste noch etwas warten.
Ein paar vernünftige Socken mussten her und zwar schnellstens. Das es spezielle Trekkingsocken gab, war mir bis dato völlig unbekannt. Kein Wunder. Als begeisterter Sportraucher, brauchte mal ja auch nur Zigaretten und ein Feuerzeug!
Nein, dieses mal nicht, bei meinem lieblings Discounter, in der Sportabteilung einer bekannten Kaufhauskette wurde ich fündig. Natürlich hatte ich im Vorfeld schon genügend Informationen gesammelt, worauf besonders zu achten war. Sie sollten eine Nummer kleiner sein wie meine Schuhgröße, also 42, reichlich gepolstert im Zehen, Ballen und Fersenbereich und mit R und L gezeichnet sein. Für alle nicht Pilger und Wanderer, R rechter Fuß, L linker Fuß.
Als erstes stieß ich auf die R/L Socken eines deutschen Strumpfwarenherstellers. 13,95 Euro! Anerkennend pfiff ich durch die Zähne. 13,95 Euro für 2 blöde Socken? Und zum aller Übel auch noch gestreifte? Ich hasste gestreifte Socken. Generell trug nur Schwarze oder dunkel Blaue. Ehrfürchtig machte ich den Grapschtest. Sie fühlten sich zwar gut an aber 13,95 Euro und dann auch noch für ein paar Gestreifte?
Ich konnte mich beim besten Willen nicht mit dem Gedanken anfreunden, diesen horrenden Preis für zwei blöde Socken ausgeben zu müssen? Es musste mit Sicherheit noch eine Alternative zur Verfügung stehen!
Und, siehe unten, siehe da, ein namhafter amerikanischer Sportartikelhersteller bot gleich drei paar Trekkingsocken für sage und schreibe 7,95 Euro an. Und das in meiner Lieblings-farbe Schwarz. Na, geht doch, dachte ich mir. Erneut machte ich den Grapschtest. Na ja, sie fühlten sich bei weitem nicht so weich an, wie die Gestreiften für 13,95 Euro aber ob dies unbedingt erforderlich sei? Ich hatte ja immer noch meine orthopädischen Weichpolstereinlagen!
Allerdings wurden sie nur der Größe 43-45 angeboten. Leichte Skepsis überfiel mich. Ich hatte immer wieder gelesen, das darauf zu achten sei, das die Strümpfe eine Nummer kleiner sein sollten, damit sich keine Falten unter den Fußsohlen bilden konnten. Aber wie es im Leben halt so ist, die Unvernunft, gespickt mit einer Ladung Geiz siegte mal wieder über die Vernunft und ab zur Kasse.
Die Tinte auf meinem Kassenbon war noch nicht ganz abgetrocknet, als mir die ersten Zweifel kamen, hier und jetzt richtig gehandelt zu haben. Kurze Zeit später entpuppte sich mein Kauf natürlich als kapitaler Fehlgriff.
Nachdem ich, stolz wie Oskar, erfolgreich meinen ersten Zehner gelaufen war, verspürte ich auf den letzten Kilometer ein leichtes Jucken unter meinen Fußballen. Da wird sich doch nichts anbahnen?
Eine genaue Untersuchung meiner Fußballen, nachdem ich ohne weitere Schäden wieder mein trautes Heim erreicht hatte, ergab, das sich nach spätestens drei weiteren Kilometer mit Sicherheit ein kleines Bläschen gebildet hätte. Stur und Starrsinnig wie ich halt bin, führte ich es natürlich auf die zum ersten mal zurück gelegten 10 Km hin. Als bei den folgenden Märschen kurz vor dem Ziel erneut das Jucken einsetzte, fragte ich mich, ob es tatsächlich an den Socken liegen sollte?
Zudem hatte ich den Eindruck, das sich meine Socken gemach auf die Schuhgröße 48 zu bewegten.
Unter Androhung, sie in der Waschmaschine bis auf die Größe 35 herunter kochen zu wollen, gab ich ihnen eine letzte Chance. Mir wären sie im nachhinein Effektiv zu klein gewesen, jedoch hätte ich sie dann meiner elfjährigen Enkeltochter Lara immerhin noch zum Geschenk machen können.
Es kam wie es kommen musste, einige Tage später fand ich mich erneut in der Sportabteilung der Kaufhauskette wieder und freundete mich mit den gestreiften rechts links Socken für lächerliche 13,95 Euro an.
Zuhause angekommen, stellte ich zu meiner Zufriedenheit fest, das sich das Gestreifte lediglich im Fußbereich befand und der Bund in meiner Lieblingsfarbe Schwarz gehalten war.
Da ich den Camino in festem Schuhwerk bestreiten wollte, löste sich das Problem Eitelkeit von selbst.
Obwohl immer wieder gute Ratschläge darauf hinweisen, das es von Vorteil wäre, ein paar Trekkingsandalen mitzunehmen, verweise ich hiermit auf meine Stur und Starrköpfigkeit: „Sandalen...kommen...mir...nicht...an...die...Füße! Ich hasse Sandalen“.
Sie erinnern mich immer wieder an das lieblings Outfit vieler deutscher männlicher Touristen. „Kurzer Short, lange Knie-
Strümpfe auf kalkweißen Stelzen und... Sandalen“.
Meine Herrn: „Es sieht einfach zum Kotzen aus. Die Damenwelt wird es gerne bestätigen!“
Ich erinnere mich noch gut, als ich eines Abends, es ist schon gute 20 Jahre her, abgekämpft von der Arbeit nach Hause kam, meine Frau erfreut meinte: „Schatz, sieh mal was ich mir gekauft habe!“
Wie ein Model auf dem Catwalk präsentierte sie mir ihr neuen Schuhe. Ein paar Birkenstock Treter.
Ungläubig starrte ich ihr auf die Füße und wollte nicht glauben was ich dort sah.
„Es läuft sich fantastisch darin!“, rief sie euphorisch.
„Ja?“
„Ich habe dir gleich auch welche mit gebracht“, erwiderte sie, ignorierte mit sturer Weiblichkeit den Missmut, der mir im Gesicht stand und drückte mir einen Schuhkarton in die Hand.
Ich warf einen kurzen abfälligen Blick hinein und meinte mürrisch: „Hast du mir vielleicht auch das passende Müsli mitgebracht?“
„Stell dich mal nicht so an“, erwiderte sie barsch.
„Solche Treter trage ich nicht. Basta!“, und stellte den Karton beiseite.
Sie, leicht pikiert drohte, mir nie mehr wieder ein paar Schuhe zu kaufen.
Ich, stur wie ein Esel: „dann kaufe ich mir meine Schuhe eben selber!“
Der Kampf dauerte etliche Wochen. Meine Frau lies nicht locker. Mal standen sie in der Diele vor dem Schuhschrank, wenn ich von der Arbeit heimkehrte, mal im Schlafzimmer neben meinem Bett wenn morgens aufstand, ich brauchte nur hinein zu schlüpfen.
Der Kampf endete an dem Tag, als sich meine geliebten Filspantoffel in sämtliche Einzelteil auflösten. Sofort stand meine Frau mit den Birkenstock Treter neben mir und hielt sie mir auffordernd unter die Nase.
„Zu Hause kannst du sie wohl ruhig tragen!“, meinte sie vorwurfsvoll.
Ich gab mich geschlagen, sie hatte es mal wieder geschafft.
„Aber nur zu Hause! Und aller höchstens bis zur Mülltonne!“
erwiderte ich mürrisch.
„Du wirst dich schon an sie gewöhnen“, meinte meine Gattin siegessicher.
Selbst meine Kinder mussten sich anfangs das Lachen verkneifen wenn ich mit meinen Birkenstocktreter durch unsere Wohnung schlürfte.
„Schicke Schuhe trägst du da, Papa“, meinten sie des öfteren ironisch.
„Verarschen kann ich mich selber!“
Wie es halt so ist, mit der Zeit freundeten wir, meine Birkenstock und ich, uns doch noch an. Ich zeigte ihnen das Gas und das Bremspedal von unserem Auto. Ich zeigte ihnen sogar meinen lieblings Discounter.
Wie sich ein Mensch im laufe der Zeit verändern kann!
*****
Die Wochen vergingen. Sonntag für Sonntag machte ich mich gegen 8:OO Uhr in der Früh auf die Socken. Von Anfangs 10 Km vergrößerte ich meinen Radius nach einigen Wochen auf 13 Km. Ich wollte nichts übereilen und mich langsam auf ein Tagespensum von 20-25 Km einlaufen. Mir blieben ja immerhin noch 7 Monate Zeit.
Im Gegensatz zu früheren Zeiten, wenn ein Spaziergang im Raum stand der die 1000 Meter Marke überschritt, war ich immer der Erste der mit schmerzverzerrtem, wehleidigem Gesicht, die Hand schützend auf das Becken legte und mit zwei kleinen Worten die Sache vom Tisch fegte.
„Die Hüfte!“
Jetzt hingegen, ich möchte nicht behaupten das ich mich nun zu einem leidenschaftlichen Wandergesellen entwickelte habe, jedoch allein der Gedanke, mich im kommenden Jahr auf den Camino zu begeben und es unumgänglich war, mir im Vorfeld noch eine gewisse Fitness anzutrainieren, trieb mich aus dem Haus. Und das, zu meinem eigenen Erstaunen, frohen Mutes. Die Zeit verging wie im Flug, während ich mein Pensum ablief. Ich lief und lief, lies meine Seele baumeln ohne auch nur für einen kurzen Augenblick mein gestecktes Tagesziel herbei zu sehnen.
Die Konstellation aus den emänz teuren Treter meines lieblings Discounter, in Verbindung mit den Weichsohleneinlagen, die im übrigen ein guter Freund von mir, seines Zeichens orthopädischer Schuhmachermeister hergestellt hatte und den gestreiften R/L Socken war das Laufen ein Traum. Keine Druckstellen, kein Brennen unter den Fußballen, Nichts!
In den Sommerferien, unser Schwiegersohn befand sie gerade auf einer Auslandsreise, meldete sich unsere Tochter samt restlichen Familienanhang zu einem Kurzurlaub bei uns an. Inklusive Hofhund Gina.
Nachdem wir unser sonntägliches Frühstück beendet hatten und gemütlich bei einer Zigarette saßen, meinte meine Tochter zu mir: „Gehst du Heute laufen?“
Ohne eine Antworten meinerseits abzuwarten, fügte sie hinzu: „Nimm den Hund mit, dann hast du auch etwas Unterhaltung!“
Wie Recht sie noch haben sollte!
Ich warf einen Blick aus dem Fenster und schaute in einen Wolken verhangenen Himmel.
„Es regnet!“
„Ja und! Meinst du vielleicht, wenn du auf dem Jakobsweg bist wird es nicht ab und zu mal regnen?“
„Das brauche ich hier aber nicht zu trainieren“, erwiderte ich leicht mürrisch.
„Dann nimm einen Schirm mit!“
Noch bevor ich ihr vermitteln konnte, das ich Heute nicht die Absicht hatte zu laufen, wandte sie sich an Gina die gelangweilt neben uns auf dem Boden lag und vor sich hin döste.
„Opa geht gleich mit dir Sträßchen!“
Wie von einer Tarantel gestochen, sprang Gina auf. Zwei Worte hatte sie wohl verstanden. Opa und Sträßchen.
Vor Freude hechelnd und mit ihrem Schwanz wedelnd stand sie
vor mir. Als erstes wedelte sie meiner Tochter die brennende Zigarette aus der Hand. Anschließend legte sie kameradschaftlich ihre Tatze auf meinen Oberschenkel und signalisierte mir, das sie bereit zum Aufbruch wäre. Ich hingegen deutete auf meine brennende Zigarette und versuchte ihr klar zu machen, das ich gerne noch aufrauchen wollte. Sie Missstand es und versuchte sich auf meinen Schoß zu setzten um mich vor lauter Freude, mit Zungenküssen zu übersähen.
Erklärender Weise möchte ich hinzu fügen das es sich bei Gina um einen Hof und Hütehund handelt, deren Größe die eines Schäferhundes leicht überschreitet. Also Zigarette aus, hinein in die Treter, Regenjacke, Schirm und ab durch die Tür.
„Du brauchst keine Leine. Sie hört auf`s Wort!“, rief meine Tochter mir nach.
„Danke für den Hinweis. Die Leine geht mit!“
Um zu vermeiden, das Gina sofort ihre Blase und ihren Darm in den liebevoll angelegten Vorgärten meiner geschätzten Nachbarn entleerte, nahm ich sie erst einmal an die Leine.
Wie ein Ochse vor dem Flug zog sie nach rechts Richtung Vorgärten, während ich nach links gegen hielt.
Ohne ein Blumenbeet unter Wasser zu setzen oder einen Kübel mit Zierpflanzen durch einen dicken Scheißhaufen zu verschönern erreichten wir nach 50 Meter die städtische Hundeköttelbahn. Nach zwölf mal Pipi und zwei mal „A“ „A“, ließen wir diese hinter uns und ich entschloss mich, sie nun von ihrer Leine zu befreien. Laut Aussage meiner Tochter, hörte sie ja auf`s Wort!
Nachdem ich die Leine gelöst hatte, schaltete sie kurz in den siebten Gang und schoss ab, wie eine Rakete. Sie lief mal vor, mal hinter mir, blieb aber steht`s in meiner Sichtweite, während ich nicht gerade mit bester Laune durch den Regen trottete. Um mit ihr zumindest eine leichte Konversation zu führen, gab ich ihr Probebefehle, wie Sitz, Platz Steh und Aus, die sie zu meine vollsten Zufriedenheit in den meisten Fällen schon nach dem zweiten etwas energischerem Zurufen nach kam.
Gina war zudem eine leidenschaftliche Schwimmerin. Um sie auch für ihre Folgsamkeit zu belohnen, entschloss ich mich, mit ihr an die Agger zu gehen. Hierbei handelt es sich um einen Fluss der unweit an unserer Wohnung vorbei floss.
Während ich mir mit meinem Schirm einen Weg durch das Ufergestrüpp bahnte, wobei mir eine Machete weitaus bessere Dienste geleistet hätte, kreuzte plötzlich Meister Lampe, ein ausgewachsener Feldhase unseren Weg. Beide starrten sich für einen Augenblick an, ihre Ohren schossen blitzartig in die Höhe und flugs, hatten sich beide aus dem Staub gemacht. Beziehungsweise, Meister Lampe versuchte sich vor Gina aus dem Staub zu machen.
Mein erster Gedanke war, Gina meinen Schirm hinterher zu werfen. Verzichtete jedoch darauf, da meine Wurfkraft nicht gerade die Beste war. Stattdessen forderte ich sie mehrmals lautstark mit nicht gerade freundlicher Stimme auf, sofort zurück zu kehren. Da meine Zurufe fruchtlos blieben, bekam ich das Gefühl, das Gina an dem Politikersyndrom „Black out“ litt und ihren Namen kurzerhand vergessen hatte.
Nun stand ich ganz alleine im Gemüse. Wie ein Indianer hielt ich die Hand vor die Stirn und suchte die Steppe nach meinem gerade abhanden gekommenen Hund ab. Von Gina keine Spur!
Ratlosigkeit stieg in mir hoch. Sollte ich vielleicht hinter ihr her rennen und den halben Stadtwald absuchen?
Bei dem Gedanken eventuell den Heimweg alleine antreten zu müssen, schauderte es mich. Meine armen Enkelkinder würden mit Sicherheit in Tränen ausbrechen wenn ich ohne ihren Hund nach Hause käme. Nicht zu vergessen der Anschiss den ich mir von meiner Frau und Tochter noch abholen durfte.
Ich fasste den Entschluss ihr noch fünf Minuten Zeit einzuräumen. Während meine Augen immer noch die Steppe abtasteten, tauchte plötzlich fünfzig Meter vor mir, für einen kurzen Augenblick ihr Kopf aus dem Gestrüpp. Ich hatte den Eindruck, das sie die Orientierung verloren hatte und nach mir Ausschau hielt. Ich winkte ihr mit meinem Schirm zu und rief mit gespielter Freundlichkeit ihren Namen. Sekunden später stand sie hechelnd und mit ihrem Schwanz wedelnd wieder vor mir. Für einen Augenblick kam mir der Gedanke, ihr eins mit dem Schirm über zuziehen verwarf ihn aber gleich wieder. Man ist ja Tierfreund und Hunden nachgesagt wird, das sie nur ein Kurzzeitgedächtnis besäßen, würde sie mit Sicherheit auch nicht verstehen, weshalb ich auf sie eindrechte.
Da sie mir kein Geschenk in Form eines Feldhasen mitgebracht hatte und ihre Zähne auch keinerlei Blutspuren aufwiesen, ging ich davon aus, das Meister Lampe sicher seinen heimischen Bau
erreicht hatte und nun zitternd eine Verschnaufpause einlegte nach dem Motto „Dat hät jo nomol jot jejange“
Um erst einmal auf Nummer Sicher zu gehen, nahm ich sie an die Leine und führte sie aus dem Ufergestrüpp zurück auf den Weg wo ich sie besser im Auge hatte. Als sie mir im Anschluss, nachdem ich ihr erneut die Freiheit geschenkt hatte, auch noch in einen Tümpel sprang und nach ein paar Runden Brustschwimmen stank, als wenn sie in eine Jauchegrube gefallen wäre, hatte ich endgültig die Nase voll. Den Hund an die Leine und ab nach Hause.
Dort angekommen durfte sie als erstes für eine knappe Stunde mit dem Kofferraum vorlieb nehmen. Zum Abtrocknen und Entmiefen, da sie immer noch stank wie eine Kuh aus dem Hintern.
Für alle Tierliebhaber, bei dem Kofferraum handelt es sich um eine Großraumlimosine der Marke Ford Galaxie. Selbstverständlich öffnete ich auch die Fenster. Die Arme sollte mir ja nicht in ihrem eigenen Mief ersticken.
*****
Bis in den Herbst hinein, lief ich einmal Wöchentlich meine 13 Km. Außerdem gewöhnte ich mir an, wenn ich die Wahl zwischen einem Aufzug und ein Treppenhaus hatte, steht’s das Treppenhaus zu nutzen. Ich hielt mich dabei nicht mit Kleinigkeiten auf, sondern nahm gleich zwei Stufen auf einmal. Von dieser Maßnahme versprach ich mir, so ganz nebenher meine Oberschenkelmuskulatur zu stärken. Ich wollte ja immerhin den Camino auf schönen Stelzen bezwingen.
Während eines Krankenhausaufenthaltes meiner Frau Marion kam ich mehrmals täglich in den Genuss des Treppensteigens. Elegant wie eine Gazelle, nahm ich die Stufen des Treppenhauses im Doppelpack und grüßte jeden mit einem freundlichen „Hallo“, der mir einen ungläubigen Blick entgegen warf. Einmal schoss ich in meinem Wahn an der zweiten Etage, wo sich die Station meiner Frau befand vorbei und landete im dritten Stock. Kopfschüttelnd und keuschend trat ich den Rückweg in den zweiten Stock an.
Zwischenzeitlich sammelte ich Informationen, was mit und in den Rucksack, den ich mir im übrigen auch noch zulegen musste, gehörte. Dieses mal hielt ich mich penibel an die Ratschläge und Tipps, routinierter Pilger. Die Kleidung sollte für alle Wetterverhältnisse geeignet sein. Immer wieder fand ich Hinweise auf eine vernünftige Outdoorjacke. Am besten aus Goretex mit herausnehmbaren Innenflees.
Hatte ich natürlich nicht!
Ich zähle zwar einen dicken bis an die Waden reichenden Lodenmantel mein Eigen, jedoch zum einen war er mir zu schwer und zum anderen wollte ich vermeiden, das mir während meiner Pyrenäenüberschreitung sämtliche frei weidenden Schafe unaufgefordert folgten und ich mit einer riesigen Schafherde in Pamplona meinen Einzug halten würde.
Also musste eine Goretexjacke her. Zu meinem Erstaunen musste ich feststellen, das ein solches Stück nicht unter 200 Euro zu erwerben war. Das war mir effektiv zu Teuer. Meine Frau, eine sehr aus erfolgreiche Schnäppchenjägerin versprach mir, die Sache in die Hand zu nehmen und sich nach einer Gebrauchten um zusehen. Wurde auch prompt in einer Kleiderstube fündig. Fünf Euro, für eine im Top Zustand befindlichen Goretexjacke eines namhaften Herstellers. Allerdings ohne Flees. Und für weitere 5 Euro eine hervorragende Fleesjacke. So macht Einkaufen spaß! Jetzt war ich für jede Witterung gewappnet.
Von meinen Kindern und meinem Schwiegersohn erhielt ich zum Geburtstag einen Rucksack. Er hatte ein Fassungsvermögen von 70 Liter, ein vernünftiges Tragegestell und war überwiegen in einem leuchtendem Orange gehalten. Mit ihm auf dem Rücken, war ich noch aus großer Höhe, sehr gut sichtbar!
Hegten meine Kinder beim Kauf des Rucksacks eventuell einen Hintergedanken?
Meine Tochter legte noch eine kleine Pilgerapotheke in Form von heilsamen Sprüchen und Lebensweisheiten hinzu.
Während meinen Wanderungen beschäftigte mich die Frage: Gehhilfe, ja oder nein? Aber in welcher Form? Stab oder Stock?
Pilgerstab oder Trekkingstock?
Sollte ich während meiner Reise wirklich einmal kräftig zulangen müssen, ich denke jetzt ausschließlich nur an eine Auseinandersetzung mit einem pyrenäischen Wolf oder Bär, würde ich mit einem gezielten Schlag auf die Birne des Angreifers mit meinem Pilgerstab mehr Eindruck erwecken als mit einem Trekkingstock. Sollte jedoch der Angreifer mir sein Hinterteil entgegen halten, wäre ein biegsamer elastischer Trekkingstock von Vorteil. Mit ihm könnte ich den Angreifer eins über den Hintern ziehen, das es nur so krachte.
Ich kam zu dem Entschluss, einen Teleskop-Trekkingstock auf jeden Fall mit zunehmen. Eine endgültige Entscheidung würde ich allerdings erst beim Start vor Ort treffen!
Aber welchen Trekkingstock sollte ich mir zulegen? Während meinen Wanderungen stellte ich fest, das es allem Anschein nach verschiedene Arten von Nordic-Walking gab und mit Sicherheit auch die passenden Stöcke dazu. Zur Kategorie eins Trekkingstock „Classic“ ordnete ich diejenigen ein, die sich richtig ins Zeug legten und kräftige Arm und Beinarbeit leisteten.
Kategorie zwei, der Trekkingstock „Light“, wurde überwiegend von Damen benutzt, die ihren Schwerpunkt auf ein perfektes Outfit legten. Ihre Stockspitzen berührten so gut wie nie den Erdboden oder sie wurden von ihnen lässig unter dem Arm getragen.
Im November erhöhte ich meinen Radius nochmals um einige Kilometer. Jetzt kam ich auf ein Laufpensum von ca. 17 Km. Auch ihn überstand ich ohne nennenswerte Komplikationen, obwohl ich die Strecke strammen Schrittes hinter mich brachte und nach knapp 3 Std. wieder zu Hause war.
Langsam musste ein 20iger her und zwar in diesem Jahr noch. Anfang Dezember war es dann soweit. Es war mal wieder Sonntagmorgen, gegen 8:30 stieg ich in meine Trekkingschuhe und machte mich auf die Socken. Nach knapp 3 Stunden kehrte ich wohlbehalten zurück, stärkte mich mit einem zweiten Frühstück und machte mich 2 Stunden später erneut auf den Weg.
Mein heutiges Tagespensum: Stolze 23 Km. Und das ohne mir eine einzige Blase zu laufen. Meinen letzten 20iger hatte ich während meiner Wehrdienstzeit gelaufen. Zu einer Zeit, als noch auf alles geschossen wurde, was von Osten kam. Und das waren mittlerweile schon 37 Jahre her.
Zu meinem Erstaunen spürte ich Tags drauf noch nicht einmal den Hauch eines Muskelkaters, womit ich eigentlich schon fest gerechnet hatte.
*****
Weiteres Kopfzerbrechen bereitete mir die Anreise. Wie komme ich hin, in dieses Kaff Namens „Saint Jean Pied de Port“?
Nachdem ich mich durch etliche Internetseiten gelesen hatte, die sich ausschließlich mit der Anreise nach Saint Jean Pied beschäftigten, wurde mir eins klar: Es gab weder einen Direktflug, noch eine durchgehende Bahn oder Busverbindung. Die einzige Verbindung zur Außenwelt wurde allem Anschein nach durch eine regionale Bahnverbindung ab Bayonne gehalten.
Das konnte ja Heiter werden!
Um es kurz zu fassen: Fliegen ist für mich ein Alptraum. Ich habe Flugangst!
Das soll nicht heißen, das ich noch nie geflogen bin, nein, geflogen bin ich schon einige Male aber nur in Begleitung meiner Gattin und nicht ohne mir vorher kräftig einen auf die Lampe zu gießen.
Da ich davon ausging, das ich meine Pilgerreise alleine antreten würde, sah ich das Problem des Umsteigens unter Einfluss einer brennenden 500 Watt Lampe auf mich zukommen. Fraglich war auch, ob ich am Zielflughafen überhaupt meinen Rucksack wiedererkennen würde und mir nicht einfach den erst Besten vom Band ziehen würde, um mich mit ihm aus dem Staub zu machen.
Mit einer Anreise per Fernbus konnte ich mich ebenfalls nicht anfreunden. So wie ich mich kenne, würde sicherlich irgend eine Pappnase mit langen Stelzen hinter mir Platz nehmen, um mir während der gesamten Fahrt permanent seine Knie ins Kreuz drücken.
Demnach standen nur noch zwei Varianten zur Wahl. Entweder zu Fuß oder mit den Bahn. Wobei die Bahnverbindung mir noch am ehesten zusagte. Ab Köln HBF, mit dem Thalis nach Paris-Nord, dort mit der Metro zum Bahnhof Paris-Austerlitz, mit dem Nachtzug nach Bayonne und zum guten Schluss mit der Regiobahn nach Saint Jean Pied.
Die Anreise würde zwar einen ganzen Tag in Anspruch nehmen, wobei ich bezweifele das eine Anreise per Flugzeug auch nicht viel schneller zum Ziel führte.
Harald Albuscheit
Dezember 2009
Ich muss zu meiner eigenen Schande eingestehen, der Hl. Jakobus mag es mir verzeihen, das mir bis vor zwei Jahren der Begriff „Jakobsweg“ und das Phänomen das sich hinter im verbirgt, völlig unbekannt war. Obwohl ich der katholischen Konfession angehöre, mit elf Jahren schon morgens um 6:00 Uhr in unser städtisches Krankenhaus eilte, das zur damaligen Zeit von Ordensschwestern geleitet wurde, um dort als Ministrant die Frühmesse zu dienen. Als Honorar erhielt ich ein gut belegtes Schulbrot und gelegentlich von Schwester Oberin einen Anschiss wenn meine Müdigkeit stärker war als die Ehrfurcht vor dem lieben Gott und ich verschlafen um den Altar herum schlürfte.
Während meiner Ministrantenzeit hegte ich, „aber nur für kurze Zeit“, sogar einmal den Wunsch, selbst das Amt eines Priesters zu bekleiden. Aber wie schon gesagt, nur für kurze Zeit!
Mit zunehmendem Alter lies meine Verbundenheit zur Kirche merklich nach. Ich besuchte die Hl. Messe nur noch zu besonderen Anlässen, wie Taufen, Hochzeiten und Sterbefällen. Nichts des du trotz, ich bin Christ und zahle brav meine Kirchensteuer.
*****
Es ist nicht von der Hand zu weisen, das Hape Kerkeling einiges an der Popolarität des Jakobsweg in Deutschland dazu beigetragen hat. Man hörte des öfteren, Hape ist den Jakobsweg gegangen und hat seine Erlebnisse in einem Buch nieder- geschrieben. Schön, schön, dachte ich.
Nachdem sich auch noch weitere Promis, in den Medien voller Stolz bekannten, den Jakobsweg gegangen zu sein, war ich der Auffassung, das es sich hier um einen Trampelpfad in den Alpen handelte. Zu Fuß, über die Alpen talpen?
Nein, das war nicht mein Ding!
Erst als ein Bekannter mir erzählte, das zwei Freunde von ihm in Kürze nach Spanien fliegen würden, um sich auf den Jakobsweg zu begeben, wurde ich hellhörig. War ich vielleicht mit meinem Trampelpfad auf dem Holzweg?
Das kommende Wochenende setzte ich mich an meinem Rechner und zog mir die ersten Infos über den Jakobsweg. Ich kam aus dem Staunen nicht heraus. Man o man, was hatte ich mich auf meinem Trampelpfad verlaufen.
Wie jemand, der kurz vor dem Verdursten stand, sog ich alle Informationen gierig in mir auf. Ich las, Reiseberichte von Pilgern, durchwanderte Foren studierte Routen und war fasziniert von den Fotos, die so mancher Pilger ins Netz gesetzt hatte.
Mit Erstaunen stellte ich fest, das sogar eine Route fast an meiner Haustür vorbei führte. Der Jakobsweg von Wuppertal über Köln nach Trier. Mein Augenmerk allerdings lag auf der Achse „Saint Jean Pied De Port nach Santiago“.
In den letzten 10 Jahren wurden in Santiago 1,2 Millionen Pilger registriert, angereist aus fast allen Erdteilen und allen sozialen Schichten. Immer öfters fragte ich mich, was einen Menschen dazu bewegt, diese Strapaze auf sich zu nehmen und den ersten Schritt auf eine 800 km lange Fußreise zu setzten. War es Abenteuerlust oder nur für eine gewisse Zeit dem schnelllebigen Leben zu entfliehen, um seine innere Balance zu finden um sie wieder ins rechte Lot zu rücken? Oder war es einfach nur der Glaube?
*****
Allmählich, je mehr ich mich mit dem Phänomen „Jakobsweg“ auseinander setzte, stieg in mir das Verlangen, mich selbst dieser Herausforderung zu stellen. Was mich nun endlich dazu bewegte, den Weg gehen zu wollen, kann ich mit Faszination und Neugier begründen.
Die Faszination, der historischen Hintergrund der diesen Weg zeichnet, die Schönheit der Landschaft, mit ihren geschichtsträchtigen Städten, Dörfern und Weiler die den Weg säumen und einem täglich zu neuen Antrieb verleiten, seinen Weg zu gehen.
Die Neugierde, war ich wirklich so Willensstark, mir Morgen für Morgen meinen Rucksack aufzuschnallen und ohne das mich einer in den Hintern treten musste, los zu laufen?
Was würde in mir vorgehen wenn der Tagesablauf entgegen sonstigen Gewohnheiten nur aus Wandern, Nahrungsaufnahme und der Suche nach einer Schlafstelle bestand?
Ich stellte mir die Frage, ob ich mit meinen siebenundfünfzig Jahren nicht schon zu alt für dieses Vorhaben war. Wurde aber Dank meiner Recherche eines anderen belehrt. Sehr viele Pilger waren schon jenseits der fünfzig und der Anteil der über sechzig Jährigen schlug auch noch gut zu buche.
Problem teilweise gelöst!
Zwischenzeitlich hatte ich Hapes „Ich bin dann mal...“, Paulo Coelho`s „Sechs Tage irren in den Pyrenäen“ und Tim Moore`s
„Mein Kampf mit dem Esel“ gelesen. Wobei ich mir die Bemerkung erlauben darf, Hape vermittelt einem auf amüsanter Weise die Strapazen, dehnen man sich stellen muss, Paulo Coelho, na ja, war mir persönlich etwas zu spirituell. Man kommt des öfteren ins Grübeln und fragt sich, ob er sich wirklich auf dem Jakobsweg befunden hat oder ihn nur als Kulisse für seinen Roman nutzte. Tim Moore hingegen, glänzte wiederum durch seinen typisch trockenen englischen Humor und Selbstironie.
In einem Forum stieß ich auf die Empfehlung, das man das Buch von Shirley MacLaine gelesen haben muss, um mitreden zu können. Ich fragte mich: „Wobei mitreden?“
Man kann im Vorfeld so viel lesen und sich inspirieren lassen, aber am Ende zählt das, was ich von meiner Reise mit nach Hause nehme. Ich ziehe vor jedem den Hut der den ersten Schritt macht, ob er den Weg aus religiösen, kulturellen oder persönlichen Gründen geht, ob er in Santiago ankommt oder nicht.
Weiterhin stieß ich bei meiner Recherche auf den Unmut einige Pilger, die sich darüber opponierten, das es mittlerweile Bustouristen ermöglicht wird, sich für 2,50 € eine Compostella ausstellen zu lassen.
Seien wir doch mal ehrlich. Ist es nicht das Gleiche, als wenn ich mir z.B. auf Mallorca bei einem Straßenjuwelier für 20,00 € eine Rolex Imitation kaufe und im Anschluss Zuhause den Prolli heraus hängen lasse? Wenn man den Weg geht, geht man ihn für sich und nicht für andere!
Das Problem Alter war gelöst. Und wie stand es mit meiner Gesundheit und meiner Fitness? Vor fünfzehn Jahren hatte eine Niere, einfach so ihren Betrieb eingestellt, während die andere ein hübscher Tumor schmückte. Nach diversen Operationen, wurde alles wieder gerichtet und man verkündete mir, das ich damit rechnen müsse, mich über kurz oder lang, mit der Dialyse vertraut zu machen. Wie gesagt, es ist fünfzehn Jahre her und meine noch verbleibende Niere spült immer noch brav bis zum heutigen Tag, mein Blut.
Ich stellte mir die Frage, wann, sollte ich mich auf die Socken machen? Sollte ich vielleicht warten bis zur Rente? Bis dahin waren es noch gute acht Jahre. Und was wäre, wenn sich in dieser Zeit mein zweites Nierchen auch noch verabschieden würde? Es gibt zwar reichlich Herbergen am Weg, aber ob in acht Jahren jede zweite oder dritte Herberge auch eine eigene Dialysestation vorweisen konnte?, na ja, ich bezweifele es.
Also, nichts wie ran an den Gaul. Ich überlegte Krampfhaft in welchem Monat ich starten sollte. Im Frühjahr und mir gleich zu Beginn in den Pyrenäen den Arsch abfrieren? Im Sommer und schwitzen wie ein Schwein? Nein! Beides kam für mich nicht in Betracht.
Spätestens jetzt werden die ersten Kritiker behaupten, schon wieder ein Touri, der sich auf den Weg machen will um dem echten Pilger sein Nachtlager streitig zu machen.
Ist ja gut, ich bin doch auch nicht mehr der Jüngste!!!
Somit fasste ich zu den Entschluss, im Mai des kommenden Jahres zu starten. Demnach standen mir noch elf Monate der Vorbereitung zur Verfügung. Erneut kam ich ins Grübeln. Und wie sieht es mit deiner Fitness aus? Sport war noch nie meine Stärke. Selbst in jungen Jahren beim Fußballspielen, wenn es irgendwie vermeidbar war, verzichtete man auf mein Mitspielen und wurde erst einmal als Reservespieler auf die Ersatzbank verdonnert. Sollte ich dann doch zum Einsatz kommen, war ich steht’s der erste, der wieder ausgewechselt wurde. Zum einen kam ich beim laufen nie aus den Socken, obwohl ich schon als Jugendlicher eine drahtige Figur hatte, zum anderen, weil meine Schüsse, sollte ich mal zufällig in Ballbesitz geraten, unberechenbar für meine Gegner und gefürchtet von meinen eigenen Mitspieler waren. Die Bälle kamen Grundsätzlich nie dort an, wo ich sie hin schoss!
Gefürchtet war auch mein Auftauchen im eigenen Strafraum. Unserem Torwart standen jedes mal die Haare zu berge, da es gelegentlich passierte, das ich ihm eins in die Bude setzte.
Gefeiert wurde ich dann von unseren Gegnern, jedoch in ihrer Mannschaft mitspielen, das durfte ich auch nicht.
Sofort meldete sich mein schlechtes Gewissen. Du, und den Jakobsweg laufen? Du kannst ja noch nicht einmal ein paar Turnschuhe dein Eigen nennen. Und deine Jogginghose trägst du auch nur, weil deine Frau es dir verboten hat, dich mit deiner Jeans auf der Couch zu räkeln. Ja ja liebes Gewissen, du hast ja recht. Aber physisch und mental fühle ich mich stark genug, mich dem Weg zu stellen.
Du hast ja noch nicht einmal das „Seepferdchen“! Liebes Gewissen, ich möchte den Jakobsweg laufen, und nicht schwimmen!
Erneut meldete sich mein schlechtes Gewissen: Und welche Sportart hast du in den letzten dreißig Jahren betrieben?
Ich war leidenschaftlicher Sportraucher, in der zweiten Liga!!
Erklärender Weise möchte ich hinzu fügen, das in der ersten Liga nur Kettenraucher „rauchen“.
„Denk an Hape`s erste Etappe. Von Saint Jean Pied de Port nach Roncesvalles. 27 Km über die Pyrenäen. Das schaffst du nie! Du wirst schon nach einem Kilometer über irgend einem Zaun hängen und dir die Lunge aus dem Hals kotzen!
Moment mal....!, gebot ich meinem schlechten Gewissen, „Du hast wohl vergessen.......!“
Vor circa eineinhalb Jahren, wurde mal wieder meine Wirbel- säule bockig. Ich war es schon von ihr gewohnt, das sie sich turnusmäßig alle zwei bis drei Jahre in Form von erheblichen Rückenschmerzen bei mir meldete. Also, wie in den vergangenen Jahren, ab zum Orthopäden, ein kleines Spritzchen, eine Woche Streckbank, eine Woche Fango und Massage und die Sache war wieder in Butter. Zum Abschluss gab einen warmen Händedruck und einen leichten Schlag von Onkel Doktor in den Rücken, mit der Empfehlung: „Treiben sie etwas Sport. Ihre Wirbelsäule wird es ihnen danken“.
Und dieses mal, beim ersten aufmucken, ran an den Rechner. Fragen wir doch mal „Doktor Google“!!!!
„Was tun gegen Rückenschmerzen“ Das Zauberwort hieß „Yoga!“
Yoga für Zuhause, Unterwegs, auf der Arbeit, Yoga für hier und Yoga für da. Aufmerksam studierte ich über einen längeren Zeitraum etliche Beiträge und kam zu dem Ergebnis: „Yoga hilft gegen Rückenschmerzen!“
Ich überlegte allen ernstes, ob ich nicht mal einen Yoga-Kurs belegen sollte. Als ich dann noch erfuhr, das die Kosten für einen Kurs meine Krankenkasse übernehmen würde, machte ich mich im Netz auf die Suche nach einer Yogaschule. Wurde auch prompt fündig! Einige Straßen weiter bot eine Yogalehrerin Schnupperkurse an. Speziell für Anfänger über Fünfzig. „Super“, dachte ich und las mich auf ihre Seite ein. Detailliert schilderte die Gute den Ablauf einer Schnupperstunde. Und zum Ende der Stunde, ich zitiere: „wenn wir dann noch Lust haben, stimmen wir eine Mantra ein!“
Als wenn ich in eine Zitrone gebissen hätte, verzog sich mein Gesicht, was dazu führte, das die Kippe, die zwischen meinen Lippen steckte zu Boden viel. „Eine Mantra?“
„Sollte Singen etwa gut gegen Rückenscherzen sein?“, erstaunt pfiff ich durch die Zähne. Ja, wenn das so ist, konnte ich ja gleich in den hiesigen Kirchenchor eintreten. Ich sang zwar nicht schlecht, dafür aber Laut. Besonders, wenn ich mir vorher einen auf die Lampe goss.
Na, ja, das war es dann mit dem Schnupperkurs.
Umgehend entschloss ich mich, meine eigene Selbsthilfegruppe „Anonyme-Yogis“ zu gründen. Akribisch studierte ich die Seiten, die sich speziell mit der Stärkung der Wirbelsäule und der Rückenmuskulatur beschäftigten. Schnell erkannte ich, das sowohl eine vernünftige Atemtechnik als auch eine Entspannungsphase in das zukünftige Trainingsprogramm mit einbezogen werden musste.
Mit Sicherheit werde ich jetzt den Zorn einiger Leser auf mich ziehen, die hämisch behaupten werden: „Um vernünftig Yoga praktizieren zu können, braucht man einen ausgebildeten Jogalehrer!“
Ja, ja, liebe Schlaumeier ihr habt ja recht. Ich werde mich maßregeln und ab sofort das Wort „Gymnastik“ nutzen.
Ok?, dann lies weiter, ich bin noch nicht zum Ende gekommen!
Als erstes beschäftigte ich mich mit der Atmung. Sie war ein wichtiger Bestandteil meiner künftigen Gymnastikübungen mit yogischem Einfluss.
Sowohl Entspannungs- wie auch Erholungsphasen baute ich in mein Programm mit ein. Auf eine detaillierte Beschreibung meiner Gymnastikübungen möchte ich jetzt nicht weiter eingehen, da ich Unweigerlich gezwungen wäre, Fachbegriffe wie z.B. Der Baum, Die Schulterbrücke, Das Dreieck, Der Fisch, benutzen zu müssen. Hierdurch würde ich nur noch weiteren Zorn auf mich ziehen.
Mit Freuden stellte ich zu Beginn meiner Gymnastik mit yogischem Einfluss fest, das ich bei weitem nicht so steif war, wie mein Glied, morgens vor dem ersten Toilettengang.
Ein Fersensporn zog nach einiger Zeit die Aufmerksamkeit auf sich. Mein Orthopädie rückte ihm mit ein paar Weichsohleneinlagen zu Leibe. Und es das Problem kurzerhand beseitigte.
Konsequent zog ich mein Gymnastikprogramm durch. Mit dem Erfolg, das meine Wirbelsäule gelegentlich mal einen Piepser von sich gab, aber ansonsten mir keine weiteren Unannehmlichkeiten bereitete.
Zu Anfangs musste ich mich mehrmals täglich zu einem aufrechtem Gang ermahnen wenn ich mal wieder krumm wie ein Fragezeichen durch die Gegend schlürfte. Sogar mein Tabakgenuss, wo ich besonders Stolz darauf bin, wurde durch mein intensives Gymnastiktraining mit yogischem Einfluss immer weiter eingedämmt. Von Anfangs drei Tage für ein Päckchen Tabak, hierzu möchte ich bemerken das ich meine Zigarren selber drehe, reichte der Tabak mittlerweile eine Woche und länger. Meine Selbstgedrehten wurden mitunter so dünn, das sie mehr einem Zahnstocher glichen, als einer Zigarette. Des öfteren bekam ich den gut gemeinten Ratschlag, auf den Tabak ganz zu verzichten und das Blättchen lediglich zu kauen.
Na, ja, Danke für den Tipp! Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen.
Nachdem ich endgültig den Entschluss gefasst hatte den Weg zu gehen, tauchte die Frage auf, wie sage ich es meinen Lieben? Es waren ja immer noch meine Frau Marion, mit der ich schon seit 32 Jahren eine harmonische Ehe führte, unser 28 jährigen Sohn Kay und unsere 35 jährige Tochter Daphne nebst 38 jährigen Schwiegersohn Michael seines Zeichens Marine Offizier, sportlich sehr aktiv, selbst schon am Nijmegen-Marsch teilgenommen, samt ihrer 3 Kinder Lara, Meira und Quentin, nebst Hofhund Gina, im Spiel.
Bewaffnet mit Hapes Buch „Ich bin dann mal....“, gab ich als erstes meine Bewunderung für Hapes Leistung preis. Als ich jedoch mit äußerster Vorsicht den Wunsch äußerte, den Weg selbst einmal gehen zu wollen, gab es von Seitens meiner Gattin den ersten kräftigen Schuss vor den Bug. „Dafür bist du viel zu Alt. Das ist etwas für junge Leute. Schlag es dir aus dem Kopf. Du spinnst!“
Meine anfängliche Argumentation, das ich bei weitem nicht der Älteste wäre, der den Weg erfolgreich zurück gelegt hatte, stieß bei Ihr allerdings auf taube Ohren.
Ich ruderte zurück in sicheres Gewässer, schwenkte die weiße Friedensfahne und rief: „Doch nur die ersten 200 km! Den Rest hebe ich mir für später auf“.
Keine Reaktion!
Das konnte ja noch Heiter werden! Wenn sie alle so reagieren, stand mir noch ein steiniger Weg bevor, nicht nur auf dem Camino. In Alarmbereitschaft und gewarnt von dem ersten Bugschuss, offenbarte ich mich meinem Sohn. Ein nachdenklicher Blick, ein leichtes zustimmendes Nicken.... „Mach es wenn es dir Spaß macht!“
Zwischenzeitlich, war ich meiner Gattin soweit auf den Senkel gegangen, das sie genervt bei gab.
„Wenn du unbedingt gehen willst, dann geh! Aber ohne mich!“
Ein riesiger Felsbrocken viel von meinen Schultern. Hier spiegelte sich das Geheimnis unseres seit 32 Jahren andauerndes, harmonisches Eheglück wieder. Gegenseitiges Akzeptieren und Vertrauen!
Als ich dann zum guten Schluss meiner Tochter mein Vorhaben mitteilte, viel ich fast vom Hocker. „Super Papa! Ich fände es gut!“
Durch ihre positive Reaktion geriet der anfängliche Bugschuss, meiner Frau Marion weitgehend in Vergessenheit. Jetzt stand nur noch das Statement meines Schwiegersohns Michael aus.
Mit Sicherheit würde ich in Kürze von ihm zum Rapport bestellt!
Kurze Zeit später schlug unsere Tochter mit fünfköpfigem Anhang, ihr Mann, unsere 3 Kinder Enkelkinder inklusive Hofhund Gina, zu einem unerwartetem Kurzbesuch bei uns ein. Die Freude war groß, wir gesellten uns auf den Balkon, plauderten ausgelassen, während unsere Enkelkinder in kürzester Zeit, unseren ansonsten geordneten Haushalt kurzerhand in eine Achterbahn verwandelten. Andauernd kam einer unserer lieben Enkel 1 und 3 Jahre zu uns und zeigten stolz Mama und Papa, was Oma und Opa so alles in ihren Schränken aufbewahrten. Mal war es eine Fleischgabel, mal eine Glasschüssel oder ein Kochtopf. Alles wurde fein säuberlich auf unserem Balkon abgestellt, bevor sie zu einem weiteren Erkundungszug ausschwirrten.
Plötzlich viel das Zauberwort „Jakobsweg“. Mein Schwiegersohn der neben mir saß, blicke mich von der Seite an.
„Ich habe gehört, du willst den Jakobsweg gehen?“
„Ja!“
Seine Gesichtszüge schwankten zwischen einem leichten Grinsen und ein wenig Anerkennung. Wobei er mit seinem Kopf nickte, wie ein Wackeldackel im Fond eines alten Ford Granada.
„Weißt du auch, worauf du dich da einlässt?“
„Ja!“
„Das ist nicht mal eben zum Kiosk latschen und eine Pulle Bier kaufen!“
„Ich weiß!“
Jetzt war Vorsicht geboten. Ich bewaffnete mich mit meinem Fachwissen und wartete gespannt auf seinen ersten Angriff.
Sein Nicken wurde immer stärker. Ich deutete es hoffnungsvoll, als Zustimmung.
„Fändt ich gut... alter Pilger!“, meinte er plötzlich anerkennend und gab mir einen kräftigen Schlag auf die Schulter.
Entwarnung! 1:0 für mich.
„Das sind aber in paar Kilometer“. Seine Stimme klang ernst und herausfordernd.
„Ich weiß!... Ich möchte ja auch nur die ersten 200 km laufen. Von Saint Jean Pied bis Najera!“
„Und in welcher Zeit?“
„In 14 Tagen!“
Sein Nicken signalisierte mir erneut seine Zustimmung.
2:0 für mich.
„Und wann?“
„Nächstes Jahr im Mai“.
„Dann mach dich mal langsam auf die Socken und lauf dich warm. Und nicht erst nächstes Jahr im April“.
„Ich habe schon damit begonnen“, erwiderte ich stolz. In der Tat, ich hatte schon einige kleine Märsche, sagen wir lieber Spaziergänge hinter mich gebracht, die allerdings nie länger als eine Stunde andauerten.
Prompt bekam ich lautstark Schützenhilfe von meiner Frau Marion.
„Der Papa läuft jeden Sonntagmorgen!“
„Hast du auch vernünftiges Schuhwerk? In Adiletten wirst du auf dem Jakobsweg nicht aus den Socken kommen“.
Jetzt hatte er mich erwicht! Ich hatte wirklich noch kein vernünftiges Schuhwerk. Meine bisherigen Spaziergänge hatte ich in Sneakers hinter mich gebracht.
„Ich werde mir ein paar Trekkingschuhe zulegen“.
„Das würde ich dir auch wärmstes empfehlen. Und zwar jetzt und nicht eine Woche bevor du los latschst. Sie müssen vorher noch
eingelaufen werden“.
Ei ei Sir!“, antwortete ich zackig. Es gab noch einige gute Tipps von ihm und unserem Sohn Kay der selbst einige Jahre in einer Luftlandeeinheit gedient hatte und geübt im tragen von 120 Liter Rucksäcke über größere Distanzen war.
Einige Tage später, ich war gerade im Auftrag der „gema“ unterwegs ( Schatz, „geh mal“ eben etwas Einkaufen), hatte Deutschlands bekanntster Discounter Trekkinghosen 2in1 mit abnehmbarem Beinen im Angebot. Da ich zu der Sorte Männer gehöre, für die ihre eigene Konfektionsgröße die große Unbekannte ist und es mir fern lag, mich zwecks einer Anprobe am Wühltisch zu entkleiden, um im Anschluss wegen sexueller Nötigung aus dem Laden geworfen zu werden, rief ich kurzerhand meine Frau an.
„Schatz, was habe ich für eine Konfektionsgröße?“
Schweigen!
„Wieso?“
Ich beschrieb ihr kurz mein Fundstück und wartete gespannt auch ihre Antwort. Als erstes erhielt ich die Nummer meiner Konfektionsgröße, als zweites einen Anschiss, wie man nur so blöde sein kann und seine eigene Konfektionsgröße nicht im Kopf hatte. Sie endete mit dem meist gesprochenen Satz einer Langzeitehe: „Wenn du mich nicht hättest!“
Zu Hause angekommen stieg ich sofort in das neu erworbene Stück. Sie passte wie angegossen. Dank meiner Frau Marion!
Kurze Zeit später wurde ich erneut bei meinem lieblings Discounter fündig. Dieses mal waren es ein paar Trekkingschuhe. Aufmerksam las ich die Artikelbeschreibung. Ich hatte zwar keine große Ahnung, aber sie las sich gut!
Und dann der Preis 19,99 Euro!!!. Bei dem Preis musste der Schuh einfach gut sein!
Ich hegte zwar Zweifel, das der Schuh meine Vorbereitungszeit und meinen Pilgerweg überstehen würde aber zur Not konnte ich mir im kommenden Frühjahr immer noch ein paar Neue kaufen, mit denen ich mich dann endgültig auf den Weg machen würde.
Was hatte ich bis dato gelernt? Socken, eine Nummer zu klein, Schuhe eine Nummer zu groß!
Dieses mal war ich in der glücklichen Lage, meine Frau nicht anrufen zu müssen. Zielsicher griff ich nach der Größe 44. Ein prüfender kurzer Blick, Passt! Muss passen!
Zu Hause angekommen, inspizierte ich den Schuh etwas genauer. Erstaunt stellte fest, dass das Fußbett austauschbar war. Ich ersetzte sie gegen meine orthopädischen Weichpolstereinlagen, stieg in den ersten Schuh und humpelte durch unsere Wohnung. Anerkennend pfiff ich durch die Zähne. Es lief sich wie auf Wolken.
Als erstes war einlaufen der neu erworbenen Treter angesagt. Ich machte einige kleinst Märsche über eine Distanz von 5 km und achtete penibel darauf, ob sich irgendwo eine Druck oder Scheuerstelle bemerkbar machte. Nichts passierte!
Der Schuh war fantastisch! Er lief sich ausgezeichnet, bis zu dem Tag an dem ich mich in den Socken vergriff.
Es war Sonntagmorgen, meine Frau und ich gehören zu den Frühaufsteher und saßen bereits um 7:00 Uhr am Frühstücks- tisch. Eine knappe Stunde später warf ich einen prüfenden Blick aus dem Küchenfenster und blickte in einen wolkenlosen Himmel. Das richtige Wetter zum Laufen!
„Schatz, ich gehe etwas Laufen!“
„Ja, mach das!“
Ich hatte mir für heute zum Ziel gesetzt, das erste mal der 10 km Marke „Guten Tag“ zu sagen.
Ab ins Schlafzimmer, ein paar frische Socken aus dem Schrank,
hinein in die Treter und raus aus dem Haus. Die ersten 50 Meter Asphalt, dann scharf links in den Stadtwald auf die städtische Hundeküttelbahn, 500 Meter Slalom laufen.
Bereits nach den ersten 300 Meter spürte ich, das mit meinen Socken etwas nicht stimmte. Der Bund, der sich normalerweise sanft an meine Fesseln schmiegte, war auf dem Weg zu meinen Zehen und befand sich unter meiner Ferse. Toll, dachte ich, das kann ja heiter werden. Ein kurzer Stop, Schuhe auf, Socken hoch, Schuhe zu. Nur nicht aufhalten lassen!
Bereits nach weiteren 300 Meter hatten meine Socken ihr Ziel fast erreicht und befanden bereits sich unter meinem Span. Mein Atem wurde zusehends schwerer. Allerdings nicht vor Erschöpfung sondern vor Wut. Ein erneutes Anhalten war unumgänglich. Schuhe auf, Socken hoch, Schuhe zu. Sämtliche mir bekannten Schimpfwörter der aller übelsten Art, fielen mir wie von selbst aus dem Mund. Allerdings möchte ich sie hier nicht wiedergeben. Nach einer weiteren kurzen Distanz hatten sie ihr Ziel endlich erreicht. Sie hatten sich schützend, vor einem eventuell Frosteinbruch, sanft um meine Zehen gelegt.
Resigniert trat ich den Heimweg an. Die 10 Km Marke musste noch etwas warten.
Ein paar vernünftige Socken mussten her und zwar schnellstens. Das es spezielle Trekkingsocken gab, war mir bis dato völlig unbekannt. Kein Wunder. Als begeisterter Sportraucher, brauchte mal ja auch nur Zigaretten und ein Feuerzeug!
Nein, dieses mal nicht, bei meinem lieblings Discounter, in der Sportabteilung einer bekannten Kaufhauskette wurde ich fündig. Natürlich hatte ich im Vorfeld schon genügend Informationen gesammelt, worauf besonders zu achten war. Sie sollten eine Nummer kleiner sein wie meine Schuhgröße, also 42, reichlich gepolstert im Zehen, Ballen und Fersenbereich und mit R und L gezeichnet sein. Für alle nicht Pilger und Wanderer, R rechter Fuß, L linker Fuß.
Als erstes stieß ich auf die R/L Socken eines deutschen Strumpfwarenherstellers. 13,95 Euro! Anerkennend pfiff ich durch die Zähne. 13,95 Euro für 2 blöde Socken? Und zum aller Übel auch noch gestreifte? Ich hasste gestreifte Socken. Generell trug nur Schwarze oder dunkel Blaue. Ehrfürchtig machte ich den Grapschtest. Sie fühlten sich zwar gut an aber 13,95 Euro und dann auch noch für ein paar Gestreifte?
Ich konnte mich beim besten Willen nicht mit dem Gedanken anfreunden, diesen horrenden Preis für zwei blöde Socken ausgeben zu müssen? Es musste mit Sicherheit noch eine Alternative zur Verfügung stehen!
Und, siehe unten, siehe da, ein namhafter amerikanischer Sportartikelhersteller bot gleich drei paar Trekkingsocken für sage und schreibe 7,95 Euro an. Und das in meiner Lieblings-farbe Schwarz. Na, geht doch, dachte ich mir. Erneut machte ich den Grapschtest. Na ja, sie fühlten sich bei weitem nicht so weich an, wie die Gestreiften für 13,95 Euro aber ob dies unbedingt erforderlich sei? Ich hatte ja immer noch meine orthopädischen Weichpolstereinlagen!
Allerdings wurden sie nur der Größe 43-45 angeboten. Leichte Skepsis überfiel mich. Ich hatte immer wieder gelesen, das darauf zu achten sei, das die Strümpfe eine Nummer kleiner sein sollten, damit sich keine Falten unter den Fußsohlen bilden konnten. Aber wie es im Leben halt so ist, die Unvernunft, gespickt mit einer Ladung Geiz siegte mal wieder über die Vernunft und ab zur Kasse.
Die Tinte auf meinem Kassenbon war noch nicht ganz abgetrocknet, als mir die ersten Zweifel kamen, hier und jetzt richtig gehandelt zu haben. Kurze Zeit später entpuppte sich mein Kauf natürlich als kapitaler Fehlgriff.
Nachdem ich, stolz wie Oskar, erfolgreich meinen ersten Zehner gelaufen war, verspürte ich auf den letzten Kilometer ein leichtes Jucken unter meinen Fußballen. Da wird sich doch nichts anbahnen?
Eine genaue Untersuchung meiner Fußballen, nachdem ich ohne weitere Schäden wieder mein trautes Heim erreicht hatte, ergab, das sich nach spätestens drei weiteren Kilometer mit Sicherheit ein kleines Bläschen gebildet hätte. Stur und Starrsinnig wie ich halt bin, führte ich es natürlich auf die zum ersten mal zurück gelegten 10 Km hin. Als bei den folgenden Märschen kurz vor dem Ziel erneut das Jucken einsetzte, fragte ich mich, ob es tatsächlich an den Socken liegen sollte?
Zudem hatte ich den Eindruck, das sich meine Socken gemach auf die Schuhgröße 48 zu bewegten.
Unter Androhung, sie in der Waschmaschine bis auf die Größe 35 herunter kochen zu wollen, gab ich ihnen eine letzte Chance. Mir wären sie im nachhinein Effektiv zu klein gewesen, jedoch hätte ich sie dann meiner elfjährigen Enkeltochter Lara immerhin noch zum Geschenk machen können.
Es kam wie es kommen musste, einige Tage später fand ich mich erneut in der Sportabteilung der Kaufhauskette wieder und freundete mich mit den gestreiften rechts links Socken für lächerliche 13,95 Euro an.
Zuhause angekommen, stellte ich zu meiner Zufriedenheit fest, das sich das Gestreifte lediglich im Fußbereich befand und der Bund in meiner Lieblingsfarbe Schwarz gehalten war.
Da ich den Camino in festem Schuhwerk bestreiten wollte, löste sich das Problem Eitelkeit von selbst.
Obwohl immer wieder gute Ratschläge darauf hinweisen, das es von Vorteil wäre, ein paar Trekkingsandalen mitzunehmen, verweise ich hiermit auf meine Stur und Starrköpfigkeit: „Sandalen...kommen...mir...nicht...an...die...Füße! Ich hasse Sandalen“.
Sie erinnern mich immer wieder an das lieblings Outfit vieler deutscher männlicher Touristen. „Kurzer Short, lange Knie-
Strümpfe auf kalkweißen Stelzen und... Sandalen“.
Meine Herrn: „Es sieht einfach zum Kotzen aus. Die Damenwelt wird es gerne bestätigen!“
Ich erinnere mich noch gut, als ich eines Abends, es ist schon gute 20 Jahre her, abgekämpft von der Arbeit nach Hause kam, meine Frau erfreut meinte: „Schatz, sieh mal was ich mir gekauft habe!“
Wie ein Model auf dem Catwalk präsentierte sie mir ihr neuen Schuhe. Ein paar Birkenstock Treter.
Ungläubig starrte ich ihr auf die Füße und wollte nicht glauben was ich dort sah.
„Es läuft sich fantastisch darin!“, rief sie euphorisch.
„Ja?“
„Ich habe dir gleich auch welche mit gebracht“, erwiderte sie, ignorierte mit sturer Weiblichkeit den Missmut, der mir im Gesicht stand und drückte mir einen Schuhkarton in die Hand.
Ich warf einen kurzen abfälligen Blick hinein und meinte mürrisch: „Hast du mir vielleicht auch das passende Müsli mitgebracht?“
„Stell dich mal nicht so an“, erwiderte sie barsch.
„Solche Treter trage ich nicht. Basta!“, und stellte den Karton beiseite.
Sie, leicht pikiert drohte, mir nie mehr wieder ein paar Schuhe zu kaufen.
Ich, stur wie ein Esel: „dann kaufe ich mir meine Schuhe eben selber!“
Der Kampf dauerte etliche Wochen. Meine Frau lies nicht locker. Mal standen sie in der Diele vor dem Schuhschrank, wenn ich von der Arbeit heimkehrte, mal im Schlafzimmer neben meinem Bett wenn morgens aufstand, ich brauchte nur hinein zu schlüpfen.
Der Kampf endete an dem Tag, als sich meine geliebten Filspantoffel in sämtliche Einzelteil auflösten. Sofort stand meine Frau mit den Birkenstock Treter neben mir und hielt sie mir auffordernd unter die Nase.
„Zu Hause kannst du sie wohl ruhig tragen!“, meinte sie vorwurfsvoll.
Ich gab mich geschlagen, sie hatte es mal wieder geschafft.
„Aber nur zu Hause! Und aller höchstens bis zur Mülltonne!“
erwiderte ich mürrisch.
„Du wirst dich schon an sie gewöhnen“, meinte meine Gattin siegessicher.
Selbst meine Kinder mussten sich anfangs das Lachen verkneifen wenn ich mit meinen Birkenstocktreter durch unsere Wohnung schlürfte.
„Schicke Schuhe trägst du da, Papa“, meinten sie des öfteren ironisch.
„Verarschen kann ich mich selber!“
Wie es halt so ist, mit der Zeit freundeten wir, meine Birkenstock und ich, uns doch noch an. Ich zeigte ihnen das Gas und das Bremspedal von unserem Auto. Ich zeigte ihnen sogar meinen lieblings Discounter.
Wie sich ein Mensch im laufe der Zeit verändern kann!
*****
Die Wochen vergingen. Sonntag für Sonntag machte ich mich gegen 8:OO Uhr in der Früh auf die Socken. Von Anfangs 10 Km vergrößerte ich meinen Radius nach einigen Wochen auf 13 Km. Ich wollte nichts übereilen und mich langsam auf ein Tagespensum von 20-25 Km einlaufen. Mir blieben ja immerhin noch 7 Monate Zeit.
Im Gegensatz zu früheren Zeiten, wenn ein Spaziergang im Raum stand der die 1000 Meter Marke überschritt, war ich immer der Erste der mit schmerzverzerrtem, wehleidigem Gesicht, die Hand schützend auf das Becken legte und mit zwei kleinen Worten die Sache vom Tisch fegte.
„Die Hüfte!“
Jetzt hingegen, ich möchte nicht behaupten das ich mich nun zu einem leidenschaftlichen Wandergesellen entwickelte habe, jedoch allein der Gedanke, mich im kommenden Jahr auf den Camino zu begeben und es unumgänglich war, mir im Vorfeld noch eine gewisse Fitness anzutrainieren, trieb mich aus dem Haus. Und das, zu meinem eigenen Erstaunen, frohen Mutes. Die Zeit verging wie im Flug, während ich mein Pensum ablief. Ich lief und lief, lies meine Seele baumeln ohne auch nur für einen kurzen Augenblick mein gestecktes Tagesziel herbei zu sehnen.
Die Konstellation aus den emänz teuren Treter meines lieblings Discounter, in Verbindung mit den Weichsohleneinlagen, die im übrigen ein guter Freund von mir, seines Zeichens orthopädischer Schuhmachermeister hergestellt hatte und den gestreiften R/L Socken war das Laufen ein Traum. Keine Druckstellen, kein Brennen unter den Fußballen, Nichts!
In den Sommerferien, unser Schwiegersohn befand sie gerade auf einer Auslandsreise, meldete sich unsere Tochter samt restlichen Familienanhang zu einem Kurzurlaub bei uns an. Inklusive Hofhund Gina.
Nachdem wir unser sonntägliches Frühstück beendet hatten und gemütlich bei einer Zigarette saßen, meinte meine Tochter zu mir: „Gehst du Heute laufen?“
Ohne eine Antworten meinerseits abzuwarten, fügte sie hinzu: „Nimm den Hund mit, dann hast du auch etwas Unterhaltung!“
Wie Recht sie noch haben sollte!
Ich warf einen Blick aus dem Fenster und schaute in einen Wolken verhangenen Himmel.
„Es regnet!“
„Ja und! Meinst du vielleicht, wenn du auf dem Jakobsweg bist wird es nicht ab und zu mal regnen?“
„Das brauche ich hier aber nicht zu trainieren“, erwiderte ich leicht mürrisch.
„Dann nimm einen Schirm mit!“
Noch bevor ich ihr vermitteln konnte, das ich Heute nicht die Absicht hatte zu laufen, wandte sie sich an Gina die gelangweilt neben uns auf dem Boden lag und vor sich hin döste.
„Opa geht gleich mit dir Sträßchen!“
Wie von einer Tarantel gestochen, sprang Gina auf. Zwei Worte hatte sie wohl verstanden. Opa und Sträßchen.
Vor Freude hechelnd und mit ihrem Schwanz wedelnd stand sie
vor mir. Als erstes wedelte sie meiner Tochter die brennende Zigarette aus der Hand. Anschließend legte sie kameradschaftlich ihre Tatze auf meinen Oberschenkel und signalisierte mir, das sie bereit zum Aufbruch wäre. Ich hingegen deutete auf meine brennende Zigarette und versuchte ihr klar zu machen, das ich gerne noch aufrauchen wollte. Sie Missstand es und versuchte sich auf meinen Schoß zu setzten um mich vor lauter Freude, mit Zungenküssen zu übersähen.
Erklärender Weise möchte ich hinzu fügen das es sich bei Gina um einen Hof und Hütehund handelt, deren Größe die eines Schäferhundes leicht überschreitet. Also Zigarette aus, hinein in die Treter, Regenjacke, Schirm und ab durch die Tür.
„Du brauchst keine Leine. Sie hört auf`s Wort!“, rief meine Tochter mir nach.
„Danke für den Hinweis. Die Leine geht mit!“
Um zu vermeiden, das Gina sofort ihre Blase und ihren Darm in den liebevoll angelegten Vorgärten meiner geschätzten Nachbarn entleerte, nahm ich sie erst einmal an die Leine.
Wie ein Ochse vor dem Flug zog sie nach rechts Richtung Vorgärten, während ich nach links gegen hielt.
Ohne ein Blumenbeet unter Wasser zu setzen oder einen Kübel mit Zierpflanzen durch einen dicken Scheißhaufen zu verschönern erreichten wir nach 50 Meter die städtische Hundeköttelbahn. Nach zwölf mal Pipi und zwei mal „A“ „A“, ließen wir diese hinter uns und ich entschloss mich, sie nun von ihrer Leine zu befreien. Laut Aussage meiner Tochter, hörte sie ja auf`s Wort!
Nachdem ich die Leine gelöst hatte, schaltete sie kurz in den siebten Gang und schoss ab, wie eine Rakete. Sie lief mal vor, mal hinter mir, blieb aber steht`s in meiner Sichtweite, während ich nicht gerade mit bester Laune durch den Regen trottete. Um mit ihr zumindest eine leichte Konversation zu führen, gab ich ihr Probebefehle, wie Sitz, Platz Steh und Aus, die sie zu meine vollsten Zufriedenheit in den meisten Fällen schon nach dem zweiten etwas energischerem Zurufen nach kam.
Gina war zudem eine leidenschaftliche Schwimmerin. Um sie auch für ihre Folgsamkeit zu belohnen, entschloss ich mich, mit ihr an die Agger zu gehen. Hierbei handelt es sich um einen Fluss der unweit an unserer Wohnung vorbei floss.
Während ich mir mit meinem Schirm einen Weg durch das Ufergestrüpp bahnte, wobei mir eine Machete weitaus bessere Dienste geleistet hätte, kreuzte plötzlich Meister Lampe, ein ausgewachsener Feldhase unseren Weg. Beide starrten sich für einen Augenblick an, ihre Ohren schossen blitzartig in die Höhe und flugs, hatten sich beide aus dem Staub gemacht. Beziehungsweise, Meister Lampe versuchte sich vor Gina aus dem Staub zu machen.
Mein erster Gedanke war, Gina meinen Schirm hinterher zu werfen. Verzichtete jedoch darauf, da meine Wurfkraft nicht gerade die Beste war. Stattdessen forderte ich sie mehrmals lautstark mit nicht gerade freundlicher Stimme auf, sofort zurück zu kehren. Da meine Zurufe fruchtlos blieben, bekam ich das Gefühl, das Gina an dem Politikersyndrom „Black out“ litt und ihren Namen kurzerhand vergessen hatte.
Nun stand ich ganz alleine im Gemüse. Wie ein Indianer hielt ich die Hand vor die Stirn und suchte die Steppe nach meinem gerade abhanden gekommenen Hund ab. Von Gina keine Spur!
Ratlosigkeit stieg in mir hoch. Sollte ich vielleicht hinter ihr her rennen und den halben Stadtwald absuchen?
Bei dem Gedanken eventuell den Heimweg alleine antreten zu müssen, schauderte es mich. Meine armen Enkelkinder würden mit Sicherheit in Tränen ausbrechen wenn ich ohne ihren Hund nach Hause käme. Nicht zu vergessen der Anschiss den ich mir von meiner Frau und Tochter noch abholen durfte.
Ich fasste den Entschluss ihr noch fünf Minuten Zeit einzuräumen. Während meine Augen immer noch die Steppe abtasteten, tauchte plötzlich fünfzig Meter vor mir, für einen kurzen Augenblick ihr Kopf aus dem Gestrüpp. Ich hatte den Eindruck, das sie die Orientierung verloren hatte und nach mir Ausschau hielt. Ich winkte ihr mit meinem Schirm zu und rief mit gespielter Freundlichkeit ihren Namen. Sekunden später stand sie hechelnd und mit ihrem Schwanz wedelnd wieder vor mir. Für einen Augenblick kam mir der Gedanke, ihr eins mit dem Schirm über zuziehen verwarf ihn aber gleich wieder. Man ist ja Tierfreund und Hunden nachgesagt wird, das sie nur ein Kurzzeitgedächtnis besäßen, würde sie mit Sicherheit auch nicht verstehen, weshalb ich auf sie eindrechte.
Da sie mir kein Geschenk in Form eines Feldhasen mitgebracht hatte und ihre Zähne auch keinerlei Blutspuren aufwiesen, ging ich davon aus, das Meister Lampe sicher seinen heimischen Bau
erreicht hatte und nun zitternd eine Verschnaufpause einlegte nach dem Motto „Dat hät jo nomol jot jejange“
Um erst einmal auf Nummer Sicher zu gehen, nahm ich sie an die Leine und führte sie aus dem Ufergestrüpp zurück auf den Weg wo ich sie besser im Auge hatte. Als sie mir im Anschluss, nachdem ich ihr erneut die Freiheit geschenkt hatte, auch noch in einen Tümpel sprang und nach ein paar Runden Brustschwimmen stank, als wenn sie in eine Jauchegrube gefallen wäre, hatte ich endgültig die Nase voll. Den Hund an die Leine und ab nach Hause.
Dort angekommen durfte sie als erstes für eine knappe Stunde mit dem Kofferraum vorlieb nehmen. Zum Abtrocknen und Entmiefen, da sie immer noch stank wie eine Kuh aus dem Hintern.
Für alle Tierliebhaber, bei dem Kofferraum handelt es sich um eine Großraumlimosine der Marke Ford Galaxie. Selbstverständlich öffnete ich auch die Fenster. Die Arme sollte mir ja nicht in ihrem eigenen Mief ersticken.
*****
Bis in den Herbst hinein, lief ich einmal Wöchentlich meine 13 Km. Außerdem gewöhnte ich mir an, wenn ich die Wahl zwischen einem Aufzug und ein Treppenhaus hatte, steht’s das Treppenhaus zu nutzen. Ich hielt mich dabei nicht mit Kleinigkeiten auf, sondern nahm gleich zwei Stufen auf einmal. Von dieser Maßnahme versprach ich mir, so ganz nebenher meine Oberschenkelmuskulatur zu stärken. Ich wollte ja immerhin den Camino auf schönen Stelzen bezwingen.
Während eines Krankenhausaufenthaltes meiner Frau Marion kam ich mehrmals täglich in den Genuss des Treppensteigens. Elegant wie eine Gazelle, nahm ich die Stufen des Treppenhauses im Doppelpack und grüßte jeden mit einem freundlichen „Hallo“, der mir einen ungläubigen Blick entgegen warf. Einmal schoss ich in meinem Wahn an der zweiten Etage, wo sich die Station meiner Frau befand vorbei und landete im dritten Stock. Kopfschüttelnd und keuschend trat ich den Rückweg in den zweiten Stock an.
Zwischenzeitlich sammelte ich Informationen, was mit und in den Rucksack, den ich mir im übrigen auch noch zulegen musste, gehörte. Dieses mal hielt ich mich penibel an die Ratschläge und Tipps, routinierter Pilger. Die Kleidung sollte für alle Wetterverhältnisse geeignet sein. Immer wieder fand ich Hinweise auf eine vernünftige Outdoorjacke. Am besten aus Goretex mit herausnehmbaren Innenflees.
Hatte ich natürlich nicht!
Ich zähle zwar einen dicken bis an die Waden reichenden Lodenmantel mein Eigen, jedoch zum einen war er mir zu schwer und zum anderen wollte ich vermeiden, das mir während meiner Pyrenäenüberschreitung sämtliche frei weidenden Schafe unaufgefordert folgten und ich mit einer riesigen Schafherde in Pamplona meinen Einzug halten würde.
Also musste eine Goretexjacke her. Zu meinem Erstaunen musste ich feststellen, das ein solches Stück nicht unter 200 Euro zu erwerben war. Das war mir effektiv zu Teuer. Meine Frau, eine sehr aus erfolgreiche Schnäppchenjägerin versprach mir, die Sache in die Hand zu nehmen und sich nach einer Gebrauchten um zusehen. Wurde auch prompt in einer Kleiderstube fündig. Fünf Euro, für eine im Top Zustand befindlichen Goretexjacke eines namhaften Herstellers. Allerdings ohne Flees. Und für weitere 5 Euro eine hervorragende Fleesjacke. So macht Einkaufen spaß! Jetzt war ich für jede Witterung gewappnet.
Von meinen Kindern und meinem Schwiegersohn erhielt ich zum Geburtstag einen Rucksack. Er hatte ein Fassungsvermögen von 70 Liter, ein vernünftiges Tragegestell und war überwiegen in einem leuchtendem Orange gehalten. Mit ihm auf dem Rücken, war ich noch aus großer Höhe, sehr gut sichtbar!
Hegten meine Kinder beim Kauf des Rucksacks eventuell einen Hintergedanken?
Meine Tochter legte noch eine kleine Pilgerapotheke in Form von heilsamen Sprüchen und Lebensweisheiten hinzu.
Während meinen Wanderungen beschäftigte mich die Frage: Gehhilfe, ja oder nein? Aber in welcher Form? Stab oder Stock?
Pilgerstab oder Trekkingstock?
Sollte ich während meiner Reise wirklich einmal kräftig zulangen müssen, ich denke jetzt ausschließlich nur an eine Auseinandersetzung mit einem pyrenäischen Wolf oder Bär, würde ich mit einem gezielten Schlag auf die Birne des Angreifers mit meinem Pilgerstab mehr Eindruck erwecken als mit einem Trekkingstock. Sollte jedoch der Angreifer mir sein Hinterteil entgegen halten, wäre ein biegsamer elastischer Trekkingstock von Vorteil. Mit ihm könnte ich den Angreifer eins über den Hintern ziehen, das es nur so krachte.
Ich kam zu dem Entschluss, einen Teleskop-Trekkingstock auf jeden Fall mit zunehmen. Eine endgültige Entscheidung würde ich allerdings erst beim Start vor Ort treffen!
Aber welchen Trekkingstock sollte ich mir zulegen? Während meinen Wanderungen stellte ich fest, das es allem Anschein nach verschiedene Arten von Nordic-Walking gab und mit Sicherheit auch die passenden Stöcke dazu. Zur Kategorie eins Trekkingstock „Classic“ ordnete ich diejenigen ein, die sich richtig ins Zeug legten und kräftige Arm und Beinarbeit leisteten.
Kategorie zwei, der Trekkingstock „Light“, wurde überwiegend von Damen benutzt, die ihren Schwerpunkt auf ein perfektes Outfit legten. Ihre Stockspitzen berührten so gut wie nie den Erdboden oder sie wurden von ihnen lässig unter dem Arm getragen.
Im November erhöhte ich meinen Radius nochmals um einige Kilometer. Jetzt kam ich auf ein Laufpensum von ca. 17 Km. Auch ihn überstand ich ohne nennenswerte Komplikationen, obwohl ich die Strecke strammen Schrittes hinter mich brachte und nach knapp 3 Std. wieder zu Hause war.
Langsam musste ein 20iger her und zwar in diesem Jahr noch. Anfang Dezember war es dann soweit. Es war mal wieder Sonntagmorgen, gegen 8:30 stieg ich in meine Trekkingschuhe und machte mich auf die Socken. Nach knapp 3 Stunden kehrte ich wohlbehalten zurück, stärkte mich mit einem zweiten Frühstück und machte mich 2 Stunden später erneut auf den Weg.
Mein heutiges Tagespensum: Stolze 23 Km. Und das ohne mir eine einzige Blase zu laufen. Meinen letzten 20iger hatte ich während meiner Wehrdienstzeit gelaufen. Zu einer Zeit, als noch auf alles geschossen wurde, was von Osten kam. Und das waren mittlerweile schon 37 Jahre her.
Zu meinem Erstaunen spürte ich Tags drauf noch nicht einmal den Hauch eines Muskelkaters, womit ich eigentlich schon fest gerechnet hatte.
*****
Weiteres Kopfzerbrechen bereitete mir die Anreise. Wie komme ich hin, in dieses Kaff Namens „Saint Jean Pied de Port“?
Nachdem ich mich durch etliche Internetseiten gelesen hatte, die sich ausschließlich mit der Anreise nach Saint Jean Pied beschäftigten, wurde mir eins klar: Es gab weder einen Direktflug, noch eine durchgehende Bahn oder Busverbindung. Die einzige Verbindung zur Außenwelt wurde allem Anschein nach durch eine regionale Bahnverbindung ab Bayonne gehalten.
Das konnte ja Heiter werden!
Um es kurz zu fassen: Fliegen ist für mich ein Alptraum. Ich habe Flugangst!
Das soll nicht heißen, das ich noch nie geflogen bin, nein, geflogen bin ich schon einige Male aber nur in Begleitung meiner Gattin und nicht ohne mir vorher kräftig einen auf die Lampe zu gießen.
Da ich davon ausging, das ich meine Pilgerreise alleine antreten würde, sah ich das Problem des Umsteigens unter Einfluss einer brennenden 500 Watt Lampe auf mich zukommen. Fraglich war auch, ob ich am Zielflughafen überhaupt meinen Rucksack wiedererkennen würde und mir nicht einfach den erst Besten vom Band ziehen würde, um mich mit ihm aus dem Staub zu machen.
Mit einer Anreise per Fernbus konnte ich mich ebenfalls nicht anfreunden. So wie ich mich kenne, würde sicherlich irgend eine Pappnase mit langen Stelzen hinter mir Platz nehmen, um mir während der gesamten Fahrt permanent seine Knie ins Kreuz drücken.
Demnach standen nur noch zwei Varianten zur Wahl. Entweder zu Fuß oder mit den Bahn. Wobei die Bahnverbindung mir noch am ehesten zusagte. Ab Köln HBF, mit dem Thalis nach Paris-Nord, dort mit der Metro zum Bahnhof Paris-Austerlitz, mit dem Nachtzug nach Bayonne und zum guten Schluss mit der Regiobahn nach Saint Jean Pied.
Die Anreise würde zwar einen ganzen Tag in Anspruch nehmen, wobei ich bezweifele das eine Anreise per Flugzeug auch nicht viel schneller zum Ziel führte.
Harald Albuscheit
Dezember 2009
... link (2 Kommentare) ... comment