Mittwoch, 15. September 2010
Die Heimreise
Bereits um kurz nach 6:00 Uhr kroch ich aus meinem Schlafsack und packte meine Sachen. Wir frühstückten eine Kleinigkeit, bevor es um 7:15 Uhr hieß, von Christian und Sandy Abschied zu nehmen.
Ich begleitete sie bis vor die Pforte der Herberge und wünschte ihnen alles Gute für den Rest ihrer Pilgerreise. Mein Blick folgte ihnen, bis dass sie hinter der nächsten Straßenbiegung verschwunden waren.

Wie gerne wäre ich jetzt mit ihnen weitergelaufen!

Zurück in der Herberge holte ich meinen Rucksack, ging in die Küche und zog mir einen letzten Espresso. Am Kaffeeautomaten begegnete mir die Pilgerin aus Bayern, die am 2. Tag meiner Pilgerreise in der Herberge von Roncesvalles kurz vor Toressschluss das noch letzte freie Bett über mir ergattert hatte. Wir wechselten ein paar kurze nette Worte, wünschten uns gegenseitig alles Gute für die Zukunft, ich schnappte mir meinen Rucksack und trat hinaus auf die Straße.

Gegenüber der Herberge befand sich ein kleiner Platz mit mehreren Sitzbänken. Ich nahm auf einer von ihnen Platz, holte mein Päckchen Tabak aus der Tasche, das ich mir übrigens vor meiner Abreise in Deutschland noch gekauft hatte und drehte mir eine Zigarette. In Gedanken versunken beobachtete ich, wie sich die Herberge langsam leerte. Manche verließen das Haus mit ernster Miene, andere wiederum mit strahlenden, lachenden Gesichtern, bereit für die nächste Etappe.

Jetzt gehörte ich nicht mehr zu ihnen. Schade! Ich werde im nächsten Jahr wiederkommen, und meine Reise hier fortsetzen!

Nachdem die Hospitaliera den letzten Pilger verabschiedet und die Pforte hinter sich geschlossen hatte, erhob ich mich, schnallte mir meinen Rucksack auf und machte mich ohne Eile auf den Weg zur Bushaltestelle. In einer knappen Stunde würde mein Bus kommen, der mich nach Bilbao bringen würde. An der Haltestelle traf ich auf eine junge Deutsche, die vor zwei Tagen mit ihrem Freund gestartet war und sich ihre Füße schon so kaputt gelaufen hatte, dass sie ihrem Freund nun mit dem Bus folgen musste.

Die Füße einzucremen ist das oberste Gebot eines Pilgers, der die Reise zu Fuß antritt. Ich habe mir in den ganzem 14 Tagen keine einzige Blase gelaufen. Jeden Morgen und nach dem Duschen cremte ich mir meine Füße dick mit Hirschtalg ein. Meine Socken lagen nicht, sie standen nachts neben meinen Schuhen, Fett durchtränkt. Und gerochen haben sie auch nicht!

Gegen Mittag erreichte ich Bilbao. Ich löste eine weitere Busfahrkarte für die Fahrt zum spanisch französischen Grenzbahnhof Hendaya und machte mich auf die Suche nach einer Unterkunft. Eine viertel Stunde Fußmarsch vom Bus-Terminal entfernt, fand ich ein Hotel und buchte mich ein.
Es war schon etwas eigenartig im ersten Augenblick. Ein eigenes Zimmer, kein Schlafsaal, kein Schlafsack, in den ich kriechen musste, ein eigenes Bett, ein eigenes Bad. 14 Tage lang hatte ich dies alles mit anderen teilen müssen und keine Privatsphäre gehabt.
Und jetzt..... befand ich mich plötzlich wieder in der realen Welt. Ich hatte alle Annehmlichkeiten, die das moderne Leben einem bot.
Ich sprang unter die Dusche, legte mich ins Bett und schlief bis zum frühen Abend. In der Hotelbar aß ich eine Kleinigkeit, machte noch einen kleinen Spaziergang und deckte mich mit ein paar Nahrungsmittel für meine Weiterreise ein.
Gelangweilt lag ich auf dem Bett und wusste plötzlich nichts mit mir anzufangen. Mit meiner Frau hatte ich schon telefoniert, ihr mitgeteilt, dass ich mich bereits auf der Rückreise befände, meine Tagebucheinträge waren ebenfalls schon geschrieben. Und jetzt???
Der TV lieferte nur spanische Sender. Von dem Kauderwelsch der Moderatoren verstand ich kein Wort und die Suche nach einem Porno-Kanal blieb ebenfalls ergebnislos.
Toller Abend!
Ich löschte das Licht und versuchte in den Schlaf zu gelangen. Kurz vor dem Einschlafen erhielt ich von Christian und Sandy noch eine SMS. Sie wünschten mir eine gute Nacht und eine angenehme Heimreise.
Sie hatten mich noch nicht vergessen und latschte in ihren Gedanken wohl immer noch hinter ihnen her.

Ein Fernbus brachte mich am folgenden Morgen zum spanisch-französischen Grenzort Hendaya. Hier waren 9 Stunden Zeit zu überbrücken, bevor es mit dem Nachtzug nach Paris weiter ging.
Die Zeit nutzte ich für eine Stadtbesichtigung, trank hier einen Espresso und nahm in einem anderem Bistro einen Bissen zu mir.
Gegen Abend traf ich wieder im Bahnhof ein.
Ich kam mit einem älteren Ehepaar aus Holland ins Gespräch, die mit ihren Fahrrädern von ihrem Wohnort aus nach Santiago gefahren waren und sich nun auf dem Heimweg befanden. Er meinte grinsend, dass sie nun etwas schummelten und den Nachtzug nach Paris nehmen würden, aber von dort aus den Rest der Strecke bis in ihre Heimatstadt wieder auf ihren Fahrräder zurücklegen würden.

Kompliment den Beiden. Eine tolle Leistung!

Es gesellte sich noch eine Frau mittleren Alters aus Chile zu uns, die ebenfalls aus Santiago kam und voller Stolz uns ihre Compostella präsentierte. Auch sie hatte ab Saint Jean Pied die ganze Strecke bis Santiago zu Fuß hinter sich gebracht.

Die Eingangstür der Bahnhofhalle öffnete sich und ein Herr in meinem Alter betrat die Halle. Sein Rucksack schmückte eine große grüne Kaufhoftüte in der meines Erachtens eine Isomatte verpackt war.
„Kaufhoftüte....“?, das konnte doch nur ein Deutscher sein.
Gezielt ging ich auf ihn zu und sprach ihn in unserer Muttersprache an.
Bingo!
Sein Gesicht erhellte sich, erfreut, hier auf einen Landsmann zu stoßen war er zugleich gesprächsbereit. Auch er befand sich auf dem Heimweg seiner Pilgerreise. Allerdings hatte er die Nord-Route den Camino-Primitivo gewählt und berichtete angetan von einsamen Pfaden und abgelegenen Klöstern. Voller Faszination schilderte er mir, wie er eines Abends an der Pforte eines kleinen Klosters geläutet, um ein Nachtlager gebeten hatte und von den Mönchen herzlich aufgenommen wurde.
Naja, jedem das seine!

Ich für meine Person hätte lieber ein Zimmerchen in einem Nonnenkloster bezogen und mein müdes Haupt in das Kopfkissen eines Nonnenbettchens gebettet.

Die letzten Stunden bis zur Abfahrt zogen sich wie Gummi. Der Zug, der mich nach Paris brachte, wurde eine Stunde vor Abfahrt auf einem Nebengleis abgestellt.
Das gleiche Prozedere wie bei der Hinfahrt, die Fahrscheinkontrolle wurde bereits auf dem Bahnsteig vollzogen.
Ich bezog als erster das Abteil eines Liegewagens mit 6 Schlafplätzen, machte es mir bequem im Mitteldeck und wartete gespannt auf die übrigen Fahrgäste, mit denen ich die kommende Nacht das Abteil teilen würde. Von Seiten meiner soeben beendeten Pilgerreise war ich ja schon einiges gewöhnt.
Der Waggon füllte sich in kürzester Zeit und dann füllte sich mit einem Schlag mein Abteil. Zwei spanische Mütter mit drei Kindern im Alter zwischen 6 und 10 Jahren. Alle 5 starrten mich an, als wäre ich ein Außerirdischer.
So schlimm sah ich doch gar nicht aus. Ich hatte heute Morgen frisch geduscht, war rasiert, gekämmt und hatte saubere Klamotten an.
Also was sollte der Scheiß!

Ich grüßte kurz mit einem „Hello“, schloss die Augen und mimte den Schlafenden. Die eine Mutter bekam zugleich einen Lachanfall und verzog sich sofort in das Bett unter mir. Die andere versuchte fast eine ganze Stunde lang die Horde in den Griff zu kriegen, sie zum schlafen zu bewegen und Rücksicht auf den Senior zu nehmen, der mit ihnen das Abteil teilte. Es wurde gekichert und geflüstert. Obwohl ich kein Wort verstand, amüsierte ich mich innerlich und musste mir gelegentlich das Lachen verkneifen.
Nach einer Stunde kehrte weitgehend Ruhe ein, bis auf den 6 jährigen Jungen, der immer noch die Puppen tanzen ließ. Nachdem ihn seine Mutter zum x-ten Male zur Ruhe ermahnt hatte und er immer noch herum feixte, zog die Mutter die Notbremse.
Er erhielt eine schallende Ohrfeige, die in den Abteilen rechts und links neben uns noch sehr gut zu hören war.
Schlagartig war für einen kurzen Augenblick Ruhe im Abteil, bevor das Gefeixe des Jungen in ein leises Wimmern überging.

Wie die meisten Mütter halt so sind, bekam sie ein schlechtes Gewissen, da sie wohl etwas zu viel Schlagkraft in die Ohrfeige gesteckt hatte, stieg zu ihrem Sohn ins Bett und begann ihn zu trösten. Mit Sicherheit versprach sie ihm, morgen ein überdimensional großes Auto zu kaufen.
Kurze Zeit später fiel ich in meinen ersehnten Schlaf.

Gegen 7:00 Uhr erreichte ich den Bahnhof Paris-Austerlitz. Auf dem Bahnsteig stolperte ich nochmals über die „Kaufhoftüte“, wir wechselten noch ein paar kurze Worte bis sich unser Weg endgültig trennte. In 3 Stunden fuhr mein Zug ab Bahnhof Paris-Nord nach Köln. Meine handgefertigte Skizze, die mich vor zwei Wochen sicher vom Bahnhof Nord zum Bahnhof Austerlitz geführt hatte, hatte ich natürlich fortgeschmissen. Ich verlief mich prompt und landete am Bahnhof Ost. Zu meinem Glück waren beide Bahnhöfe nicht weit von einander entfernt, so dass ich nach einem weiteren 20 minütigem Fußmarsch den Bahnhof Paris-Nord erreichte.
Bis zur Weiterfahrt nach Köln blieb mir noch eine knappe Stunde. Auf der Terrasse eines Straßencafés trank ich noch einen Espresso und rauchte eine selbst Gedrehte. Während ich in Gedanken versunken auf das Eingangsportal schaute, das hektische Treiben der Passanten, Reisenden, der Lärm des Großstadtverkehr beobachtete, wurde mir unvermittelt bewusst: Meine Pilgerreise war nun endgültig zum Ende gekommen. Ich zahlte, schnallte ein letztes Mal meinen Rucksack auf und betrat die Bahnhofshalle.
Jetzt freute ich mich, meine Frau wieder in die Arme nehmen zu können und auf das Wiedersehen mit meiner Familie.

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Sonntag, 12. September 2010
Nach Santo Domingo de la Calzada
Bereits um 7:15 Uhr verließen wir mal wieder ohne Frühstück die Herberge. Der Weg leitete uns durch ein großflächiges Naherholungsgebiet. Obwohl die Strecke flach und vorwiegend über asphaltierten Wegen führte, es mal nicht regnete, kam ich nicht richtig in den Trott und war leicht knatschig. Bereits nach 2,5 Stunden hatten wir 12 km hinter uns gebracht und erreichten Navarette. Hier holten wir als erstes unser versäumtes Frühstück nach.
Nachdem ich meine Lebensgeister mit ein paar Espresso endlich erweckt hatte, ging es eine Stunde später weiter.

Jetzt lief es sich besser!

Vorbei an unzähligen Wein- und Getreidefeldern tauchte nach weiteren 7 km auf einer Anhöhe Ventosa vor uns auf. Laut Reiseführer wartete hier die Herberge „San Saturnio“ auf uns. Es war zwar erst kurz nach 13:00 Uhr, trotzdem entschlossen wir uns aber hier zu bleiben.

Um 14:00 Uhr öffnete die Hospitaliera die Pforte. Das Haus war erst kürzlich renoviert worden und befand sich in einem äußerst gepflegten und liebevoll eingerichteten Zustand. Das Zimmer war geräumig und mit 4 Doppelstockbetten ausgestattet. Weiterhin verfügte die Herberge im Haus über einen eigenen kleinen Laden, der speziell auf die Bedürfnisse der Pilger ausgerichtet war. Er bot frisches Obst, Gemüse und Brot zu solventen Preisen.
Zusehends füllte sich das Haus. Manisch und Patrick stießen zu uns, ebenfalls Michaela, die Österreicherin und Schokoladen-Harry.

Bei Schokoladen-Harry handelte es sich um einen Pensionär und Hobby-Senn. Er hatte stets ein Schokolädchen für die weibliche Mitpilgerschaft in der Tasche und war auf alles fixiert, was jung und zwei Brüste hatte.
Na ja, als Hobby-Senn war man ja vom Fach!!!
Er erzählte uns, dass er heute mit einer sehr netten Mitpilgerin gelaufen war und mit ihr wunderbare Gespräche geführt hatte.
Wer mag denn dieses holde Weib gewesen sein?????

Manisch übernahm wieder die Rolle des „Maître de Cuisine“ und zauberte eine exzellente Gemüsepfanne dank der privaten Gewürzküche der Hospitaliera.
Unser Menü für den heutigen Abend: „Frisches gedünstetes Gemüse aus der Region an italienischer Teigware“ (Nudeln)
Der Aufenthaltsraum war neben einer Sitzgruppe auch mit einem großen Esstisch ausgestattet, der 12 Personen Platz bot. Da wir mit mehreren Personen speisten, gestattete man uns hier unser Essen einzunehmen. Ein Kaminofen gehörte ebenfalls zur Ausstattung und wurde extra für unser Wohlbefinden angezündet. In gemütlicher, netter Atmosphäre nahmen wir unser Abendessen zu uns und ließen den Tag gegen 21:00 Uhr ausklingen.

Mit leiser gregorianischer Musik wurden wir am folgenden Morgen kurz nach 6:00 Uhr geweckt. Eine Stunde später saßen wir bereits am Frühstückstisch. Nach zwei Espresso und einem frischen belegten Baguette mit Käse war ich bester Laune und bereit zum Aufbruch. Wir verabschiedeten uns von der sehr netten und zuvorkommenden Hospitaliera, die im übrigen eine Österreicherin war und latschten los.
Meine Beurteilung für die Herberge, die zuvorkommenden Hospitaliera und Manisch, unserem „Maître de Cuisine“:

Ein ganzer Sack voller Muscheln.

Sandy wollte heute mal ein Stück alleine laufen und so startete ich mit Christian gegen 7:30 Uhr bei mal gerade 6°, aber trockenem Wetter. Bis Najera, wo wir auf Sandy warten wollten, führte uns der Weg wieder vorbei an Weinberge und einsam gelegenen Weingütern.
Bis auf das Knirschen der Steine unter unseren Füßen umgab uns wieder eine herrliche, erholsame und beruhigende Stille.

Nachdem wir uns in Najera mit etwas Essbaren für den heutigen Tag eingedeckt hatten, stieß auch Sandy wieder zu uns. In einer kleinen Parkanlage am Ufer des Najerilla nahmen wir unser zweites Frühstück ein und machten uns kurze Zeit später, als sich der Himmel immer weiter verdunkelte, auf den Weg nach Azofra, dem Ziel unserer heutigen Tagesetappe. Nach einem kurzen aber heftigen Anstieg am Ortsende von Najera ging es anschließend auf relativ ebnen Feldwegen unserem Tagesziel entgegen.

Nach einiger Zeit tauchte in der Ferne ein/e Mitpilger/in vor uns auf. Je näher wir dieser Person kamen, stellte sich die Frage, Männlein oder Weiblein. Nach kurzer Zeit war diese Frage geklärt. Sonnenhütchen, kurze Shorts und blickdichte Strumpfhose. Also musste es sich hier um eine weibliche Person handeln. Weiterhin machte mich ihre Gangart stutzig. Sie ging nicht, sie tänzelte leichtfüßig und schien ihre Trekkingstöcke als Taktstöcke zu nutzen.
„Seht mal, ich glaube mit der stimmt was nicht“, flüsterte ich Sandy und Christian zu.
Als wir uns unmittelbar hinter ihr befanden, hörten wir, dass sie mit heller Stimme fröhlich ein Liedchen trillerte. Sie verstummte allerdings schlagartig als wir neben ihr auftauchten und zum Überholen ansetzten. Sie warf uns einen leicht verwirrten Blick entgegen und ließ uns wortlos passieren.
„Die hat bestimmt gesoffen“, murmelte ich meinen Pilgerfreunden zu, als sich der Abstand zwischen uns und ihr wieder vergrößert hatte.
„Oder ihre Uhr tickt nicht richtig“, meinte Sandy.
Wir entfernten uns immer weiter von ihr und schenkten ihr auch keine Aufmerksamkeit mehr.
Gegen 14:00 erreichten wir Azofra, ein 300 Seelendorf inmitten von Weinfeldern gelegen. Hier haben die Jakobusfreunde zu Köln eine Herberge eingerichtet, die 80 Pilgern in Zweibett-Kabinen einen Schlafplatz bot. Eine Küche, sowie Waschmaschine und Wäschetrockner standen ebenfalls zur Verfügung.
Ich teilte meine Kabine, die nicht breiter war als mein dreitüriger Kleiderschrank, mit einem Pensionär aus Schottland. Wir kannten uns bereits aus der Herberge in Ventosa.

Heute war Dorffest. Um die Mittagszeit fand ein Umzug von der Kirche zum Dorfplatz statt. Dort fanden sich im Anschluss alle Dorfbewohner zu einem gemeinsamen Mittagsmahl ein, zu dem auch die bereits anwesenden Pilger eingeladen wurden.
Die Reste wurden im Anschluss der Herberge gestiftet. Es gab reichlich Käse, Schinken Brot und Wein, von denen sich jeder Pilger bedienen konnte.
Zum Abend hin stellte sich wieder die Frage: „Und was kochen wir heute“? Ein frischer Salat mit Putenbruststreifen wäre nicht schlecht. Also ab in den hiesigen 20 Quadratmeter großen Supermercado. Das Angebot war überwältigend. Wir verließen den Laden mit zwei Dosen Tomatensauce einer Paprika, zwei Zwiebel und einem Paket Nudeln. Dass es wieder Nudeln mit Tomatensauce gab, darauf möchte ich jetzt nicht weiter eingehen.

Am Abend besuchten wir noch kurz das auf dem Dorfplatz stattfindende „Schokoladen-Fest“. Es gab für alle Anwesenden gratis warme flüssige Schokolade mit Kekse, bis es einem aus den Ohren lief. Ein DJ sorgte für angemessene Stimmung und Tanz.

Gegen 21:00 Uhr traten wir den Heimweg an, köpften im Aufenthaltsraum noch eine Flasche Rosé-Wein und prosteten auf die spendierfreudige Dorfgemeinschaft.
Und wer stieß hier zu uns? Die Pilgerin mit der blickdichten Strumpfhose vom heutigen Vormittag. Zudem entpuppte sie sich noch als die nette Mitpilgerin von Schokoladen-Harry vom gestrigen Tag, mit der er so wunderbare Gespräche geführt hatte.
Ich nahm die Gute etwas genauer ins Auge. Gerechterweise möchte ich eins klar stellen. Sie hatte heute Vormittag nicht gesoffen, sie war lediglich eine etwas eigenartige Person.
Um 22:00 Uhr kroch ich in meinen Kleiderschrank und begab mich zur Ruhe.

Der letzte Tag

Gegen 6:30 Uhr öffnete ich den Reißverschluss meines Schlafsacks und machte mich in aller Seelenruhe startklar. Heute begann mein letzter Tag und es waren nur noch 17 km bis Sto. Domingo de la Calzada zu bewältigen.
Ich spürte schon nach dem Aufstehen, dass ich heute nicht besonders gut drauf war. Das Ende meiner Pilgerreise stand unmittelbar bevor.
Zum vorerst letztes Mal bot sich mir der Jakobsweg in einer herrlichen Grünkulisse. Es waren zwar einige leichte Anstiege zu bewältigen, aber im Vergleich zu den Pyrenäen ein Kinderspiel. Mein Körper schien sich mittlerweile an das Laufen gewöhnt zu haben. Ich redete nicht viel, da die Erlebnisse der letzten 14 Tage permanent in meinem Kopf kreisten und trottete die meiste Zeit hinter meinen beiden Pilgerfreunden her.

Es war schon eigenartig. Wir waren uns das erste mal in Bayonne am Bahnhof begegnet, hatten ein paar Worte gewechselt, und fortan, ohne dass einer beabsichtigte im Team zu laufen, für die nächsten 14 Tage aneinander kleben geblieben.
Die Chemie zwischen uns schien zu stimmen. Man hatte miteinander geflachst, gelacht, über Gott und die Welt diskutiert, geträumt von Salat mit Putenbrust, gekocht „Nudeln an.......“ es hatte immer gepasst. Man lief eine Zeit nebeneinander her, dann trennten uns wieder einige hundert Meter oder auch mehr, wenn ich mal wieder nicht aus den Socken kam und jeder war mit sich und seinen Gedanken alleine.
Gegen 14:00 Uhr erreichten wir Sto. Domingo. Die städtische Herberge hatte gerade ihre Pforte geöffnet und wir erhielten einen der ersten Plätze.
Das Haus befand sich in unmittelbarer Nähe der Kathedrale. Es bot fast 200 Pilger in mehreren Schlafräume ein Nachtlager, war großräumig angelegt und bot sämtlichen Komfort, den man sich als Pilger wünschen kann. Neben der Herberge in Ventosa war sie mit das beste Haus während meiner 14-tägigen Reise.
Eine groß angelegte Küche mit allem erdenklichen Geschirr lud regelrecht zum Kochen ein. Also machten wir uns schleunigst auf die Suche nach einem Supermarkt. Zum Glück war heute Sonntag und alle Läden waren geschlossen.
Wer weiß..... wer weiß, was zum guten Ende wieder in unseren Tellern gelandet wäre......!

Der Besuch der Kathedrale stand nun noch offen. Wie allgemein bekannt ist, wird schon seit ewigen Zeiten ein Hühnerpärchen in einem goldenen Käfig in der Kathedrale gehalten, denen man nachsagt: Wenn ein Pilger die Kathedrale betritt und der Hahn zu krähen beginnt, bedeutet es, dass der Pilger sein Ziel erreicht und in Santiago ankommt.

Dann fragen wir doch mal Herrn Hahn, wie es um uns steht!

Da zur Zeit keine Messe gelesen wurde, war die Kathedrale - wie sollte es auch anders sein - abgeschlossen. Man gelangte allerdings ins Innere über einen Nebeneingang, gegen ein kleines Eintrittsgeld von 6,50 €.
Ich glaub` mich tritt ein Pferd! 6,50€ Eintritt?
Da latsche ich von Frankreich kommend, über die Pyrenäen 230 km zu Fuß, ich betone nochmals „zu Fuß“ nach Santo Domingo um dem Hahn einen guten Tag zu wünschen und soll nun auch noch 6,50 € Eintritt zahlen?
„Köbes“ das kann doch wohl nicht dein Ernst sein. Wenigstens ein paar lächerliche Prozente, gegen Vorlage eines Credenzials, wären doch bestimmt drin gewesen. Oder?
Wenn ich unseren Dom in Köln besuche, zahle ich auch keinen Eintritt. Und er zählt immerhin zum Weltkulturerbe!
„Köbes, Köbes, jetzt bin ich sauer!

Resigniert widmeten wir uns einer kleinen Stadtbesichtigung zu. Während wir an einigen Souvenirläden vorbeischlenderten, hatte ich plötzlich den Wunsch, mir irgend ein Andenken an meine Pilgerreise zuzulegen. Genug Kitsch und Kram in Form von Jakobsmuscheln und gelben Pfeilen auf T-Shirts, Capes, Anstecknadeln und Bierkrügen wurde angeboten. Jedoch nichts dergleichen sagte mir zu.
Auf dem Rückweg zu unserer Herberge kamen wir erneut an der Kathedrale vorbei. Plötzlich hörte ich wie jemand sagte: „Die Kathedrale ist offen. Es wird gerade eine Messe gelesen“.

Nichts wie hin!

Durch das Hauptportal betraten wir das Innere der Kathedrale. Um die Teilnehmer der Messe nicht zu stören, blieb ich zuerst einmal stehen und hielt Ausschau nach dem Hühnerkäfig.
Er befand sich gleich links neben dem Haupteingang. Ich trat einige Schritte auf den Käfig zu und horchte erwartungsvoll.
Und wie sieht es mit Krähen aus....., Herr Hahn?
Nichts!
Die Pappnase gab keinen Ton von sich.

Langsam holte ich meine Kamera aus der Tasche und legte an.
Ein kurzer Blitz.... der Hahn begann laut zu krähen....., ein Mitarbeiter der Security bäumte sich vor mir auf, warf mir einen bitterbösen Blick entgegen und wies mich darauf hin, dass das Fotografieren während einer Messe untersagt sei.
Entschuldigend hob ich die Hände und die Sache war gegessen.
„Der Hahn hat gekräht. Wir werden alle in Santiago ankommen“, flüsterte ich Sandy und Christian zu.

Na, geht doch!

Zufällig fiel mein Blick auf einen kleinen schwarzen Kasten, der unmittelbar neben mir stand. „Versilberte Santo-Domingo-Münze“ 2,00 Euro. Ohne zu überlegen holte ich meine Geldbörse aus der Tasche nahm ein 2,00 Eurostück und wechselte es gegen eine „Santo Domingo Münze“. Jetzt hatte ich auch mein Andenken.
Danke Köbes!

Zum Abend hin suchten wir eine Pizzeria auf. Bei Pizza und Rotwein ließen wir den Tag ausklingen.

Gegen 22:00 stieg ich das letzte mal in meinen Schlafsack. Im Vergleich zu den vergangenen Nächten, in denen ich immer geschlafen hatte wie ein Murmeltier, ohne nur ein einziges Mal auf meine Ohropax zurückgreifen zu müssen, kam ich nun nicht in den Schlaf. Ich wälzte mich von einer auf die andere Seite. Die Erlebnisse der letzten 14 Tage liefen Revue in meinen Gedanken und bescherten mir einen unruhigen Schlaf. Im Innersten wollte ich es nicht wahrhaben, dass meine Pilgerreise hier enden würde.

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Samstag, 28. August 2010
Los Arcos Viana und Logróno
Nach einem kräftigen, reichhaltigen Frühstück verließen wir gegen 8:00 die Herberge. Entlang unzähliger Weinfelder ging es auf ebenen breiten Feld- und Wanderwegen zunächst nach Los Arcos. Hier legten wir wieder eine etwas längere Pause ein, stärkten uns mit Obst und einem frisch belegten Baguette mit Käse und Seranoschinken. Anschließend ging es weiter auf einsamen, leicht hügeligen Feldwegen nach Torres del Rio.

Ich war nun seit 8 Tagen auf dem Jakobsweg, hatte mittlerweile 150 km zurückgelegt und spürte, dass die Ruhe, die mich umgab - insbesondere wenn uns der Weg abseits jeglicher Zivilisation führte - beruhigend und erholsam auf mich einwirkte. Obwohl es auf den letzten Kilometern jeder Tagesetappe kräftig in den Waden und an den Schulterblätter zog. Man nahm es hin, es gehörte irgendwie dazu. Für mich jedenfalls.

In der privaten Herberge „Casa Marie“ ließen wir den Tag ausklingen. Hier trafen wir wieder auf Manisch und Patrick. Die Herberge verfügte über eine gut ausgestattete Küche, worauf sich Manisch anbot, für uns etwas zu kochen.
Das Angebot im hiesigen Lebensmittelladen war dürftig und so gab es wieder unser Lieblingsmenü „Nudeln an Sauce Tomat“. Mit allen ihm zur Verfügung stehenden Gewürzen verfeinerte Manisch die Sauce und erntete von uns ein großes Lob.

5 Muscheln für Manisch!

Zum Tagesabschluss leerten wir auf der Terrasse noch eine gute Flasche Rotwein. Gegen 20:00 schloss ich den Reißverschluss meines Schlafsacks und begab mich zur Ruhe.
Am folgenden Morgen starteten wir um 7:30 bei stark bewölktem Himmel Richtung Logróno. Es gab kein Frühstück, also musste ich mich fürs Erste mit 2 Espresso zufrieden geben. Nach einer halben Stunde setzte leichter Regen ein, der uns bis in das 10 km entfernte Viana unentwegt begleitete.

Nach knapp 3 Stunden erreichten wir Viana. Hier kauften wir uns als erstes etwas zum Frühstücken und schlugen unser Lager in einer geschützten Nische der Pfarrkirche San Pedro auf. Als der Regen jedoch stärker wurde und uns auf das frisch belegte Baguette tropfte, was wir bei weitem nicht für Gut befanden, verzogen wir uns in eine gegenüberliegende Bar und warteten bei Cafe con Leche und Espresso, dass sich die Wetterlage etwas besserte.
Nach einer Stunde ging es bei leichtem Nieselregen weiter. Bis Logróno waren es noch gute 10 km.
Kurz vor Logróno erreichten wir das Haus von Seniora Maria Mediavilla. Sie zählte schon seit 8 Jahren jeden Pilger, der sich auf dem Weg nach Santiago befand und an ihrem Haus vorbei schritt. Sie hat diese Aufgabe von ihrer Mutter Felisa Rodriguez Medel übernommen, die zuvor 20 Jahre lang tagtäglich jeden Pilger gezählt hatte.
Sie stand vor ihrer Haustür, als wenn sie uns bereits erwarten würde.
„Stempel“? rief sie, als wir auf ihr Haus zu schritten.
Hatte „de Köbes“ ihr vielleicht ins Ohr geflüstert: „Da kommen 3 Deutsche“?
Woher konnte die Gute denn sonst wissen, dass wir aus Deutschland kamen? Unser Outfit unterschied sich keineswegs von dem der übrigen Pilger.
Sie bat uns in ihr Haus, trug uns in ihr Gästebuch ein und versah unsere Credenziale mit ihrem Familienstempel. Wir bedankten uns und setzten unseren Weg fort.

In Logróno nächtigten wir in der städtischen Herberge. Sie bot fast 200 Pilger verteilt über drei Etagen und in 8 Schlafsälen ein Nachtlager.
Es war zwar eine Küche vorhanden, jedoch kein Geschirr. Somit waren wir gezwungen uns außerhalb des Hauses zu stärken und kehrten in eine nahe gelegene Pizzeria ein.
Das Essen war sehr übersichtlich auf den Tellern angeordnet und stillte bei weitem nicht meinen Hunger. Auf dem Heimweg machten wir noch einen kurzen Halt an einer Dönerbude und nahmen noch eine Kleinigkeit in Form eines Döner`s zu uns. Nachdem ich ihn letztendlich verzehrt hatte, war ich fürs erste gesättigt, allerdings bemaselt bis an die Ohren, was mir immer passierte, wenn ich einen Döner oder ein Gyrospita als Fingerfood verzehrte. Außerdem lief mir stets die Brühe über die Hände, was ich besonders liebte oder nahm einen kräftigen Biss von der leckeren Alufolie, in denen die Dinger eingepackt waren.

Gegen 21:00 kroch ich in meinen Schlafsack, machte mir einige Notizen in mein Tagebuch, schickte meiner Frau eine SMS mit meinem gegenwärtigen Aufenthaltsort, so wie wir es vor meiner Abreise vereinbart hatten, flachste noch ein wenig mit Christian und Sandy, bis dass mich die Müdigkeit überfiel, ich die Augen schloss und kurze Zeit später einschlief.
Es mag zwar nicht jeder verstehen, aber ich freute mich schon wieder auf den kommenden Morgen, meinen Rucksack aufzusetzen und weiter zu laufen.

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